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Gestern fängt das Leben an

Gestern fängt das Leben an

Titel: Gestern fängt das Leben an
Autoren: Allison Winn Scotch
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das, was ich ändern muss (egal ob sieben Jahre später in meiner Zukunft oder jetzt), nichts mit Jack, meiner Mutter oder Henry zu tun hat.
    Vielmehr haben sich die Muster meines Lebens wiederholt, und es ist offensichtlich, dass der einzige Mensch, den ich ändern muss, ich selbst bin.
    Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag und lässt mich taumeln. Alles dreht sich. Ich stütze mich an der Hauswand vor Henrys Eingang ab und übergebe mich.
    Zwei dick eingemummelte Fußgänger gehen tuschelnd an mir vorbei. Aber zum ersten Mal in meinem Leben sind mir das Getuschel und die Bewertungen der anderen vollkommen egal. Ich ignoriere die Passanten und versuche stattdessen die Übelkeit in den Griff zu kriegen.
    Wieso bin ich nur nie auf den Gedanken gekommen
, denke ich,
dass ich es bin, die sich ändern muss?
    Ich krümme mich erneut, doch mein Magen ist inzwischen völlig leer.
    Wie konnte ich nur so darauf fixiert sein, mich und mein Leben neu zu erfinden? Obwohl es dabei so viel zu verlieren gibt? Risiko und Nutzen, Jillian. Du weißt doch, was Henry gesagt hat   …
    Henry!
    Ich klingle dreimal bei ihm, aber Henry macht nicht auf. Entweder er schläft, oder er ist bei Celeste, denke ich und muss wieder würgen. Erschöpft sinke ich auf den Treppenabsatz und versuche, mich an mein altes Leben zu erinnern.
    Katie. Katie. Katie.
Ihr Name geistert durch meinen Kopf wie ein Ohrwurm. Was war so schlecht an meiner Zukunft, dass ich das Risiko eingegangen bin, mich endgültig daraus zu verabschieden?
    Ich verliere mich in der Erinnerung an die Zeit, als ich mit Katie schwanger war: Morgenübelkeit machte mir zu schaffen, und ich rief in der Agentur an, um mich für den Tag krank zu melden. Henry ging, ehe er sich auf den Weg in die Firma machte, noch schnell im Laden an der Ecke vorbei und besorgte mir Salzstangen und Ginger Ale. Als er zurückkam, legte er mir einen feuchten Waschlappen auf die Stirn, streichelte meinen Rücken und sagte. «Wieso nimmst du dir nicht den Rest der Woche frei? Du reibst dich doch völlig auf.»
    «Wieso nehme ich mir nicht den Rest meines Lebens frei?», antwortete ich damals.
    «Willst du wirklich aufhören? Willst du deinen geliebten Job aufgeben?» Er klang aufrichtig überrascht.
    Ich drehte mich um und sah ihm ins Gesicht. «Fändest du es schlimm? Auf das Geld sind wir ja nicht unbedingt angewiesen, oder?»
    «Äh, nein, ich glaube nicht», sagte er. «Solange du damit zufrieden bist.»
    «Wieso sollte ich nicht zufrieden damit sein?», fragte ich ohne auch nur eine Spur düsterer Vorahnung. «Ich glaube,es würde mir gefallen, erst mal nur noch Vollzeitmama zu sein.»
    Im Nachhinein denke ich, dass ein Teil von mir damals selbst nicht daran glaubte. Ich verstehe nicht, weshalb ich Henry diesen Vorschlag überhaupt machte. Aber das konnte er natürlich nicht wissen. Denn aus meinen Worten klang so viel Zuversicht, dass ich mich sogar selbst überzeugte.
    «Dann tu es. Hör auf zu arbeiten», sagte Henry, beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn. «Hauptsache, du bist glücklich.»
    Und nun sitze ich auf der eisigen Stufe vor der verlassenen Wohnung meines Ehemannes aus einem anderen Leben und bin erschlagen von dieser erhellenden Erinnerung: Henry hat mich nie zu meiner Entscheidung gedrängt! Ich hatte die Entscheidung jahrelang einfach falsch abgespeichert!
    Die Zeit macht einem oft etwas vor, das ist mir in den letzten Monaten klargeworden. Unser Gedächtnis vernebelt die schönen Erinnerungen und verzerrt die schlechten, bis beide Seiten sich vermischen und man nicht mehr weiß, wie es tatsächlich war. Und was man empfunden hat.
    Woran soll man sich also festhalten, während man durch den alten Schlick watet?
    Ich wische mir die Spucke aus den Mundwinkeln und die verlaufene Wimperntusche von den Wangen und richte mich auf. Es ist stockdunkel, aber ich muss mich endlich auf den Weg machen. Ich bin mir nicht sicher, wie, und ich weiß auch nicht, wohin, aber versuchen muss ich es.
    Ich muss zurück nach Hause.

29
    Der Zug nach Westchester ist fast leer. Für die Pendler ist es an diesem Morgen noch zu früh, und außer ihnen muss vor sieben Uhr niemand in die Vororte.
    Ich lausche dem Rattern der Räder und dem Summen der Lok und versuche, etwas zu schlafen, aber es ist sinnlos. Die Gedanken kreisen in meinem Kopf und halten mich wach.
    Am Bahnhof nehme ich mir ein Taxi, und wir fahren durch die verschlafenen Straßen mit den stattlichen Laubbäumen, den mit Schindeln
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