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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Schäfer
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selbst zu kündigen, und als ich nicht wollte, ungemütlich wurde. Sag mal, weißt du das nicht?«
    »Nein.«
    Es war die Wahrheit. Gabor hatte nichts davon mitbekommen. Er war nach Köln gezogen und hatte seine erste Stelle angetreten. Er hatte Berit kennengelernt. Er war jahrelang nicht nach Freiburg zurückgekehrt, und als er irgendwo einen Kommilitonen traf, der ihm erzählte, dass Yann inzwischen auf Lanzarote oder Fuerteventura weile, hatte er das Gespräch mit Ritter und das, was er ihm gesagt hatte, längst vergessen.
    »Und wer? Und wer hat Ritter die Sache gesagt?«
    Sie sahen sich in die Augen, aber Yanns Blick verriet nichts.
    »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Wahrscheinlich jemand aus meiner Forschungsgruppe.«
    »Das tut mir leid«, sagte Gabor.
    »Ewig her und die Forschung ist, wie du weißt, sowieso nicht meine Sache.« Yann lächelte sogar, bevor er, plötzlich wieder ernst, sagte:
    »Mir tut leid, was Nele passiert ist, und ich hoffe, es geht ihr bald besser.«
    Augenblicklich füllten sich Gabors Augen mit Tränen.
    »Ja.«
    Nach einer Weile sagte Yann: »Also. Heute ist mein letzter Tag.«
    »Du hörst heute schon auf?« Ein Stich des Bedauerns fuhr durch Gabors Brust, kurz, aber scharf wie eine Klinge. »Wo gehst du hin?«
    »Nach Armenien.« Armenien. Das lag nicht am Meer. Entweder hatte Yann ein neues abenteuerliches Hobby entdeckt oder er wollte tatsächlich nur helfen. »Glückwunsch übrigens«, sagte Yann. »Sogar einstimmig, wie es heißt.«
    Erst als Yann schon auf dem Weg zur Tür war, rief Gabor: »Danke.« Er wühlte zwischen den Prospekten nach der Post der letzten Tage, die er aus Desinteresse nicht angesehen hatte, bis ihm ein Umschlag vom Senat für Wissenschaft, Forschung und Kultur in die Hände fiel. Er riss ihn auf. »Hiermit berufe ich Sie …« Er las nicht weiter.
    Overkamp ging nach dem zweiten Klingeln an den Apparat, als hätte er auf Gabors Anruf schon gewartet.
    »Na, was ist das für eine Nachricht? Die Gutachten kamen wahnsinnig schnell.« Bevor Gabor etwas erwidern konnte, posaunte er: »Aber es war ein hartes Stück Arbeit. Eine Dame aus Venezuela thronte eigentlich auf Platz eins. Parkinson und Erfahrung in MS . Dagegen können Sie die Orchideenblätter Ihrer rührenden Prosopagnosie natürlich in der Pfeife rauchen. Wissen Sie, was letztlich den Ausschlag gegeben hat? Uns ist zu Ohren gekommen, dass eine Ihrer Mitarbeiterinnen die Zusage unserer Lieblingszeitschrift hat, den Aufsatz über Ihre Trainingsmethoden zu veröffentlichen. Im richtigen Moment die richtigen Informationen gestreut und mit E-Mails unterfüttert. Ich muss Ihnen nicht sagen, was der Imagegewinn bedeutet. Seidler oder Schleicher, ungewöhnlicher Vorname.«
    Gabor legte auf.

18
    Warum geschahen die entscheidenden Dinge geräuschlos, in einer unheimlichen Stille, in der man ihrem Lauf wie ein entfernter Beobachter scheinbar tatenlos ausgeliefert war?
    Als Berit ihn anrief, erkannte er schon an der Weise, in der sie »Ich bin’s« sagte, kühl wie an dem Nachmittag, an dem er das Haus verlassen hatte, aber auch mit einer Spur Vertraulichkeit in der Stimme, dass sie ihn nicht mehr verdächtigte.
    »Ich muss mich bei dir entschuldigen.« Er antwortete nicht. Nach einer Pause flüsterte sie: »Es tut mir leid.«
    Er hatte sich diesen Moment Dutzende Male vorgestellt, jetzt interessierte ihn nur Nele.
    »Wo ist Nele?«
    »Ich habe mit ihr gesprochen. Es geht ihr besser. Sie ist noch in dieser Wohnung, aber sie wird morgen zu uns gebracht.« Berit atmete aus. »Morgen kommt Nele nach Hause.«
    Tausend Dinge gingen ihm durch den Kopf, Bilder, Gedanken rauschten vorüber, an die er sich im nächsten Moment schon nicht mehr erinnern konnte.
    Er stand in einem Flur und sah einen Pfleger einen Wäschewagen zu den Fahrstühlen schieben. Der Patient, dessen Blutgerinsel er vor Tagen aufgelöst hatte, studierte an der verglasten Koje im Pyjama den Essensplan.
    »Können wir uns treffen?«, fragte Berit.
    Sie wartete schon in der Lobby des Hotels, kam auf ihn zu und umarmte ihn, und er ließ es geschehen. Sie setzten sich in eine Ecke.
    »Was ist passiert?«, fragte er, als Berit keinen Anfang fand.
    »Auf der Insel, an unserem letzten Urlaubstag, sind Nele und dieser Junge am späten Abend mit dem Boot seines Vaters zu einer der abgelegenen Buchten gefahren.«
    »Georgios«, sagte Gabor.
    »Ja. Georgios. Sie hatten wohl Decken, CD -Spieler und Fackeln dabei und haben sich ein Lager am Strand
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