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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Schäfer
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Bildschirm saß und hektisch in die Tasten hieb. Am Tag darauf war er so weit bei Kräften, dass er Timothy zum Einkauf in den Ort begleitete. Als sie gerade die Tüten vom Wagen zum Haus trugen, kam Maureen ihnen entgegen und hielt Gabor das Telefon hin.
    Berit sagte: »Nele ist wieder da.«
    Die Berge vor seinen Augen verschwammen, die Tüte mit den Einkäufen rutschte ihm aus den Fingern. Er sah Timothys fragenden Blick, Maureens fleischigen, auf ihren Mund gepressten Finger mit dem tief einschneidenden Ring. Er drückte den Ballen seiner freien Hand gegen sein Ohr.
    »Eben hat eine Frau angerufen. Sie ist nicht entführt worden. Sie ist in einer Mädchenwohnung irgendwo auf dem Land in Brandenburg.«
    »In Brandenburg? Wieso hat die Polizei sie nicht gefunden?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Wie geht es ihr? Kann ich sie sprechen?«
    »Hörst du nicht zu? Sie ist in dieser Wohnung.« Sie begann zu weinen.
    »Was ist?«
    »Sie will uns nicht sprechen«, sagte Berit.

16
    Berit kam nicht zum Flughafen, um ihn abzuholen, und er nahm ein Taxi. Es war ein trüber Tag, Berliner Hochnebel, und die Straßen waren ungewöhnlich leer. Die Herbstferien haben begonnen, dachte er, während sie über die kaum befahrene Stadtautobahn rollten.
    Seit Berits erlösendem Anruf hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, was Nele geschehen sein mochte, warum sie nicht mit ihnen sprechen wollte, doch er war nicht weit gekommen, denn jedes Mal hatte die aufschießende Freude, eine aberwitzige Erleichterung darüber, dass Nele lebte und die ganze Zeit in Sicherheit gewesen war, ihn abgelenkt. Doch als das Taxi jetzt in ihre Gasse einbog und er von Weitem die weinrote Fassade und den Kirschbaum der Hauensteins sah, verkrampfte sich sein Magen wieder, als läge die grausame Ungewissheit der letzten Tage nicht längst hinter ihnen.
    Die Stimmen aus dem Wohnzimmer verstummten, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Berit erschien in der Diele, ernst und gefasst.
    »Ist sie da?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. Einen Moment stand er hilflos vor ihr, er wollte sie umarmen, aber sie wich ihm mit gequältem Lächeln aus und ging vor ihm her ins Wohnzimmer, in dem eine kurzhaarige Frau um die fünfzig saß und sich erhob, um ihn zu begrüßen.
    »Guten Tag. Winkler.«
    »Lorenz«, sagte er, und dann nahmen sie alle drei Platz. Auf dem Tisch standen Gläser und eine Karaffe mit Wasser. Die Lippenstiftspuren am Glas der Frau hatten den gleichen Farbton wie ihr rubinrotes Haar.
    »Frau Winkler ist die Leiterin der Einrichtung, in der Nele jetzt ist.« Berit hatte die Arme vor der Brust verschränkt und blickte nicht zu ihm, sondern zu dieser Frau.
    »Ja«, sagte er nur.
    Die Frau beugte sich vor und berührte mit einem Fingerknöchel ihre Nase, als dächte sie über die richtigen Worte nach. Auch ihre Fingernägel zierte das gleiche Rot. Er konnte sich nicht beherrschen.
    »Warum ist Nele nicht hier?«
    »Ihre Tochter ist nicht hier, weil sie nicht will«, sagte die Frau und blickte ihm in einer eigentümlichen Mischung aus Bedauern und Härte in die Augen. »Vor zwölf Tagen stand Nele vor unserer Tür und bat darum, zu bleiben. Wir sind eine Einrichtung, an die sich Mädchen und junge Frauen wenden, wenn sie nicht mehr –« Er ließ sie nicht ausreden.
    »Sind Sie eigentlich ganz bei Trost? Wir haben gedacht, Nele wurde entführt. Wir dachten, sie ist tot! Wieso haben Sie nicht auf die Vermissten-Anzeige reagiert?«
    Die Frau wartete einen Moment.
    »Weil diese Anzeige nicht bei uns angekommen ist, zumindest die erste nicht, und weil Ihre Tochter nicht gesprochen hat. Kein Wort.« Sie holte Luft. »Wir liegen nur wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, und es kommt öfter vor, dass Mädchen, die direkt hinter der Grenze auf den Strich gehen, bei uns auftauchen.«
    »Sie haben Nele für eine polnische Prostituierte gehalten?«, rief er.
    »Erst als die polnische Polizei uns nicht weiterhelfen konnte, sind wir die Anzeigen aus Berlin und Hamburg durchgegangen, und dabei ist uns ein Fehler unterlaufen. Eine unserer Mitarbeiterinnen hat Ihre Tochter auf dem Foto der Polizei nicht wiedererkannt.«
    »Nicht wiedererkannt? Was soll das heißen?«
    Sie erzählte, dass ein Mädchen an der Tür ihrer Notwohnung geklingelt und der Mitarbeiterin auf Englisch gesagt habe, dass sie bleiben wolle.
    »Sind Sie sicher, dass Sie von unserer Tochter, dass Sie von Nele reden?«, fragte Gabor.
    Statt zu antworten, reichte die
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