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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Schäfer
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gegen die Seite gedrückt, zu den Parkbuchten und wirkte schmaler und weniger resolut als auf dem Sofa ihres Wohnzimmers. UM für Uckermark stand auf dem Kennzeichen des alten Golfs, in dem sie davonfuhr. Er wandte sich um. Berit stand in der Tür.
    »Du kannst aufhören mit dem Theater. Berit, es tut mir leid, dass ich dir Sachen verschwiegen habe. Es ist …« Er schüttelte den Kopf. »Aber das ist doch absurd, das kann doch nicht …« Doch ihr Blick ließ ihn verstummen. »Du glaubst das wirklich«, sagte er fassungslos.
    »Ich weiß nicht, was ich glaube. Ich weiß nur, dass du Dinge gern vergisst. Du siehst nur das, was du sehen willst. Damals, als dir in Zürich der kleine Unfall mit deiner Kollegin passiert ist, hast du so getan, als wäre die Sache nach deinem Geständnis nicht nur aus der Welt, sondern überhaupt nicht passiert. Vielleicht kannst du dich einfach nicht erinnern? Vielleicht willst du dich nicht erinnern?«
    Berit klang bittend, als wollte sie ihm eine hilfreiche Brücke zum Geständnis bauen. In ihm flammte Empörung auf, ein heftiges Brennen, das von der unendlichen Gleichgültigkeit, die plötzlich von ihm Besitz nahm, sogleich erstickt wurde. Er stand einfach da, ohne sich zu rühren. Seine Tasche wartete noch unten im Flur, unausgepackt.

17
    Das Hotel lag in der Nähe des Krankenhauses, und nachdem er an einem Tisch mit lachsfarbener Decke vergeblich versucht hatte, einen Bissen hinunterzubekommen, ging er in die Klinik, erleichtert, wieder arbeiten zu können, und nervös wie am ersten Arbeitstag. Doch falls sein missglückter Vortrag, falls seine Person von Interesse gewesen oder sich Neles Verschwinden herumgesprochen haben sollte, waren diese Themen längst fortgespült und durch andere ersetzt worden.
    Ein Stationsarzt, gerade eingestellt, hatte sich bei der Untersuchung einer Patientin so grob angestellt, dass ihm der alkoholisierte Begleiter der Frau einen Faustschlag verpasst hatte. Eine langjährige Patientin mit Multipler Sklerose hatte sich das Leben genommen, und in der Nacht war eine Technoleiche nach einem epileptischen Anfall eingeliefert worden und musste, um Einnahmen zu generieren, auf Tumore untersucht werden. Alle schienen noch gehetzter als vorher, als hätte sich in seiner Abwesenheit bei gleichem Personalstand die Bettenzahl erhöht. Er wurde begrüßt wie jeder, der sich den Luxus einer Krankschreibung erlaubt, mit lapidarem »Herzlich willkommen«, das den unterschwelligen Vorwurf enthielt, das Team im Stich gelassen zu haben, doch das offensichtliche Desinteresse ließ auch nach der Oberarztvorstellung nicht nach. Es war keine Respektlosigkeit, man behandelte ihn als das, was er war, schenkte ihm aber darüber hinaus keinerlei Beachtung. Als er am Nachmittag Lavinia begegnete, sagte sie freundlich: »Hallo. Auskuriert?«
    »Ja.«
    Sie ging weiter, wandte sich noch einmal um. Er erwartete, dass sie nach Nele fragen würde, aber sie sagte nur: »Bei unserer nächsten Teamsitzung würde ich gern von Sieverths Trainingserfolgen berichten. Haben Sie etwas dagegen?«
    »Er macht Fortschritte? Schön zu hören.«
    Erst jetzt begriff er, was das Verhalten aller zu bedeuten hatte. Ich habe die Stelle nicht bekommen, dachte er, fast erleichtert. Er war niemand mehr, von dem man sich etwas erhoffen durfte.
    Als er nach Feierabend durch die menschenleeren Straßen zum Hotel trottete, legte sich die Trostlosigkeit wie ein Schatten über ihn. Der Gedanke an das, was Nele geschehen sein musste, marterte ihn, und die Furcht, die Einsatzleiterin könnte im Hotel auf ihn warten, um ihn zu verhören, ließ ihn auf den wenigen hundert Metern mehrmals verharren.
    Es wartete niemand. Und es gab auch keine Nachricht von Berit, worauf er insgeheim gehofft und was ihn, wie er jetzt erst merkte, auf den Beinen gehalten hatte. In der Lobby fiel er in einen Sessel und starrte auf das glänzende Messing des Zeitschriftenständers und die befahrene Stichstraße, während der Drang, in dieses brandenburgische Kaff zu fahren, um Nele zu sehen und mit ihr zu sprechen, bedrohlich in ihm anstieg. Er trank Wodka Tonic, bis er zu betrunken war, um sich noch hinters Steuer zu klemmen.
    In der Nacht weckte ihn die Empörung über Berits Unterstellung, und er lag, die zu Fäusten geballten Hände zwischen den Oberschenkeln, im blauen Neonlicht des Schriftzugs einer Versicherung, das von der verglasten Fassade gegenüber ins schmale Zimmer fiel. Wie ergeben er sich gefügt, wie wenig er sich zur
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