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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel
Autoren: Michael Köhlmeier
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hielt seine Hand. Das war alles, was sie tat. Das tat dem Moses wohl. Er hatte das Gefühl, als könne er sich endlich entspannen, endlich, nach hundert Jahren. Alle Sorge fiel ab vom ihm.
    »Was ist deine Aufgabe?« fragte er die Frau.
    »Ich habe keine Aufgabe«, sagte sie. »Ich bin froh, wenn man mich nicht wegschickt.«
    »Willst du mir erzählen, warum du deine Heimatstadt Kusch verlassen hast?« fragte er.
    »Ich will es lieber nicht erzählen«, sagte sie.
    »Dann will ich nicht fragen«, sagte er. »Und ich werde es nicht zulassen, daß jemand dich fragt.«
    Sie lächelte, hielt seine Hand.
    »Ich will, daß deine Aufgabe von nun an ist, daß du bei mir bist«, sagte Moses.
    »Das will ich«, sagte die Frau.
    Von nun an war die Frau aus Kusch bei Moses.
    Die beiden sprachen miteinander. Er erzählte von seinem Leben. Sie von ihrem. Er dachte, sie sagt nicht die Wahrheit. Aber er dachte sich auch: Was ist die Wahrheit, wenn ein Menschenleben erzählt wird? Er erzählte ihr von den unwichtigen Dingen seines Lebens. Und als er erzählte, wurden gerade diese Dinge wichtig. Die Farbe alter Schuhe, der Geruch eines Hauseingangs, der erste Blick am Morgen aus dem Fenster seines Zimmers …
    Von Gott erzählte er nicht. Nach Gott fragte die Frau aus Kusch nicht. Sie interessierte sich für die Farben von Schuhen, die Gerüche von Hauseingängen, die Blicke aus Fenstern der Jugend.
    Moses nahm die Frau aus Kusch mit in sein Zelt. Und was sagte Zippora, seine Frau?
    »Du wirst von nun an meine Nebenfrau sein«, sagte Moses zu ihr. »Ich werde dir ein Zelt bauen lassen, das ist ganz allein für dich. Bei mir wird die Frau aus Kusch leben. Denn sie ist meine Lieblingsfrau von nun an.«
    Zippora weinte und schrie: »Du liegst den ganzen Tag draußen beim Brunnen und schläfst, und wenn du nicht schläfst, dann träumst du, oder du erinnerst dich, wie du sagst, erinnerst dich an dein Leben, und hast dich auch schon daran erinnert, wie wir uns kennengelernt haben, das hast du jedenfalls behauptet, und jetzt schickst du mich fort, weil ein junges, geiles Ding dahergeflattert ist! Immer hast du dich für alles mögliche interessiert, nie für mich, für Politik und deinen Gott, nie für mich!«
    »Und nie für mich selbst«, sagte Moses. »Seit Gott durch den brennenden Dornbusch zu mir gesprochen hat, habe ich nicht eine Minute an mich gedacht. Jetzt will ich an mich denken!«
    Aber Zippora gab nicht so schnell auf. Sie lief hinüber zu Aaron.
    »Zeig ihm seine Gesetzestafeln!« schrie sie. »Er hat sie doch vom Berg heruntergebracht! Er hat doch behauptet, Gott selber hat darauf geschrieben! Was steht da über die Ehe? Lies es ihm vor, Aaron!«
    Und Aaron nickte. Das war bedeutend. So schnell nickte Aaron nicht. Das wußte jeder. Jeder wußte, Aaron nickt nur bei absolut eindeutigen Fällen. Sonst wiegt er seinen Kopf hin und her oder tut gar nichts.
    »Mein Bruder«, sagte Aaron zu Moses. »Hier steht: Du sollst nicht die Ehe brechen.«
    »Das ist richtig«, sagte Moses. »Das steht hier.«
    »Dann handle danach«, sagte Aaron. »Du bist dem Volk ein Vorbild!«
    »Das ist richtig«, sagte Moses. »Ich bin dem Volk ein Vorbild.«
    Dann zog er den Vorhang zu seinem Zelt zu, und in dem Zelt wartete die Frau aus Kusch auf ihn.
    »Das darfst du nicht durchgehen lassen«, kreischte Zippora. »Du bist Aaron, der Richter! Was nützt ein Richter, wenn er nicht einschreitet? Was hast du für eine Macht, wenn einer vor deiner Nase den Vorhang zu seinem Zelt zuziehen kann?«
    Da tat Aaron etwas, was er noch nie getan hatte: Er betrat das Zelt des Moses ohne dessen Erlaubnis. Und er sah die Frau aus Kusch im Bett des Moses liegen. Sie blickte ihn an, nicht herausfordernd, nicht einmal neugierig. Sie blickte ihn einfach nur an.
    »Bruder«, sagte Aaron, »willst du nichts zu deiner Verteidigung sagen?«
    Moses ging auf Aaron zu, blieb vor ihm stehen, seufzte tief und hob hilflos die Arme.
    »So ist das mit uns«, sagte er. »Ich könnte sie wegschicken. Sie würde gehen. Sie würde nicht schreien wie Zippora. Sie würde nicht einmal weinen. Aber ich will nicht.«
    »Du brichst das Gesetz«, sagte Aaron.
    »Das weiß ich selber«, fuhr ihn Moses an. »Ich sagte, wir sind so. Ich meinte, wir Menschen sind so. Ich habe hundertzwanzig Jahre alt werden müssen, um das einzusehen. Ich will sie nicht wegschicken. Ich will bei ihr liegen! Ich weiß, daß ich das Gesetz breche. Und ich tue es trotzdem. Und ich weiß nichts zu meiner
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