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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel
Autoren: Michael Köhlmeier
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Moses. »Verzeih ihm! Verzeih allen! Verzeih uns Menschen, daß wir so sind, wie wir sind! Verzeih uns bis in alle Ewigkeit!«

MOSES STIRBT
    Von letzten Fragen – Von alten Träumen und Erinnerungen – Von der Frau aus Kusch – Von Zipporas Schmerz – Von Aarons Ermahnungen – Von Mirjams Empörung – Von Gewitter und Sturm – Von einem rollenden Brunnen – Von Aarons Tod – Von Moses’ Traum – Vom Tod des Helden
     
    »Was wird sein, wenn ich tot bin?«
    Diese Frage beherrschte von nun an alle Gedanken des Moses.
    »Was wird sein, wenn ich tot bin? Was wird sein mit meinem Volk? Wird das Volk ohne mich seinen Weg weitergehen können? Wird Israel von Jahwe abfallen, wenn ich nicht mehr bin? Was werden unsere Feinde tun, wenn ich nicht mehr bin? Hat Israel neue und gute Führer?«
    Solche Fragen stellte sich Moses.
    Schließlich mußte er sich sagen: »Ich kann diese Fragen nicht beantworten. Wenn ich tot bin, bin ich tot. Es gibt keine Verantwortung über den Tod hinaus.«
    Und als er sich das gesagt hatte, änderten sich seine Sorgen. Die Sorge verließ ihn nicht, sie änderte sich. Nicht mehr fragte er, was wird aus Israel nach meinem Tod.
    Nun fragte er sich: »Was wird aus mir in der kurzen Zeit, die ich noch zu leben habe?«
    Darüber dachte er nach. Moses war hundertzwanzig Jahre alt.
    »Meine Kraft reicht nur mehr für mich selbst«, sagte er. »Israel hat einen neuen Führer, einen starken Führer. Joshua. Joshua kann an hundert Dinge gleichzeitig denken. Ich aber kann nur noch an mich selbst denken.«
    Immer öfter kam es vor, daß Moses sich auch am Tag in den Schatten legte und träumte. Seine Träume waren stark und breit und jugendlich. Und diese Träume waren nicht belastet mit der Aufforderung, sie zu erfüllen. Moses, der den größten Teil seines langen Lebens auf Wanderschaft war, wollte nicht mehr gehen. Er wollte nicht getragen werden, und er wollte nicht gehen.
    Zu sich selbst sagte er, wobei es ihm gleichgültig war, ob ihm jemand zuhörte oder nicht: »Meine Träume wollen bleiben, ich liebe meine Träume, also will ich bei ihnen bleiben.«
    Als die Karawane zu einer Oase kam, bat er Joshua: »Laßt uns ein paar Tage hier lagern. Bleiben wir ein paar Tage, ich brauche Ruhe.«
    Und Joshua sah keinen Grund, dem alten Mann diesen Wunsch abzuschlagen.
    Moses begab sich zu dem Brunnen bei dieser Oase, legte sich in den Schatten der Bäume.
    Und Mirjam, seine Schwester, sagte zu den Leuten: »Laßt ihn in Ruhe! Er spricht jetzt mit Gott. Ihr müßt ihm am Tag seine Ruhe lassen.«
    Aber Moses sprach nicht mit Gott. Nicht am Tag. Nachts manchmal. Aber hinterher war er sich nicht ganz sicher, ob Gott auch mit ihm gesprochen hatte. Der Gedanke, daß all seine Gespräche mit Gott in Wahrheit Selbstgespräche gewesen sein könnten, entsetzte ihn nicht, sondern amüsierte ihn.
    »Dann hat er eben aus meinem Mund mit meiner Stimme gesprochen«, sagte er laut. »Was macht den Unterschied?«
    Und er sagte sich: »Als ich meinte, auf dem Berg Sinai seinen Schatten zu sehen, vielleicht war es mein Schatten, den die Sonne auf den Nebel geworfen hat.«
    Und auch dieser Gedanke entsetzte ihn nicht, sondern belustigte ihn. Und am meisten belustigte ihn die Vorstellung, er könnte diese Gedanken seinem Bruder Aaron mitteilen, und was der wohl für ein Gesicht machen würde.
    Den ganzen Tag lag Moses im Schatten bei dem Brunnen. Träumte, schmunzelte, schlief.
    Im Traum sah er sich, wie er als junger, als aufbrausender Mann am Hof von Pharao Malul gewesen war. Er sah sich, wie er hinausgegangen war zum Volk Israel, das unter der Fronarbeit litt, sah sich, wie er die Menschen in den Ziegeleien besuchte, in den Steinbrüchen, auf den Feldern, erinnerte sich daran, wie er den ägyptischen Aufseher erschlagen hatte … – Das alles kehrte in seinen Träumen wieder.
    In seinen Träumen bat er diesen Aufseher um Vergebung, er entschuldigte sich bei ihm für seinen Jähzorn. Er träumte von seiner Kindheit, von seiner Mutter, obwohl er gar nicht genau wußte, wer eigentlich seine Mutter war. Er sah eine Frauenhand vor sich, die über seine Stirn fuhr und ihn streichelte …
    Da erwachte Moses am Brunnen, und neben ihm saß wirklich eine Frau, und die streichelte wirklich über seinen Kopf. Moses kannte die Frau schon vom Sehen, es war keine Frau aus dem Volk Israel, sie stammte aus der Stadt Kusch und hatte sich der Karawane angeschlossen.
    Die Frau aus Kusch sprach nicht mit Moses, sie saß nur neben ihm. Sie
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