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Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Titel: Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
Autoren: Paul J. McAuley
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Sie zogen Dorthy Yoshida die Kleider aus und hüllten sie in
einen engsitzenden Raumanzug, gaben ihr ein Beruhigungsmittel und
schoben sie behutsam in eine Sinkkapsel. Sie füllten den
Innenraum mit Aufprall-Gel, verriegelten die Schleuse – und
schossen sie dann rücklings aus dem Orbit.
    Eine lange Minute schwebte sie in freiem Fall. Sauerstoff zischte
leise in ihren Helm. Wenige Zentimeter von ihrem Kopf entfernt
blinkten Kontrollanzeigen, zur Bedeutungslosigkeit verzerrt durch das
transparente Gel. Ihr kam es so vor, als sähe sie sich selbst in
einer dieser trivialen Fernseh-Unterhaltungsshows. Sie wußte,
ihre momentane Losgelöstheit rührte von dem Tranquilizer,
aber auch dieses Wissen hatte keine Bedeutung für sie. Sie
schwebte über allen Dingen.
    Und es war gut, endlich allein zu sein. Trotz ihres Implantats war
sie nie gänzlich frei von den Emotionen der Mannschaft und der
anderen Passagiere in den engen Kabinen des Schiffes gewesen, die
ihre Gedanken färbten und wie ein schädliches Gas in ihre
Träume einsickerten.
    Ein nicht unwesentlicher Faktor, warum sie nach Auslaufen ihres
Vertrages beim Kamali-Silver-Institut Astronomin hatte werden wollen,
war die in diesem Beruf unvermeidbare Loslösung aus den
überschäumenden Energien der Zivilisation, aus den
Stürmen von Emotionen, die Tag für Tag gegen sie
anbrandeten wie das Meer gegen die Küste und langsam, aber
stetig, ihre körperlichen und geistigen Ressourcen aufzehrten.
Die Wochen im Transit waren so aufreibend gewesen wie ein ganzes Jahr
in einer x-beliebigen Stadt. Daher empfand sie die Minute in freiem
Fall wie ein winziges Stückchen des Nirwana: als Salzkristall
oder als Schneeflocke – sie verschmolz darin.
    Dann setzten die Retrojets ein. Das Aufprall-Gel drückte sich
schützend um ihren Körper – und verfestigte sich
etwas. Einen Moment lang war sie wieder schwerelos.
    Ein Ruck!
    Und noch einer.
    Die Sinkkapsel jaulte. Etwas, das hinter Dorthys umnebelter
Losgelöstheit noch funktionierte, sagte ihr, daß die
Kapsel in die Atmosphäre eintauchte. Man hatte ihr die Abfolge
der Ereignisse oft genug erklärt, als man sie auf den Abwurf
vorbereitete, und sie versuchte gerade vergeblich, sich daran zu
erinnern, was als nächstes kam, als sich ihr Körpergewicht,
austariert durch den sanften Gegendruck des zähflüssigen
Gels, wieder aufbaute. Die Sinkkapsel vibrierte, ihre dünne
Außenhülle begann zu ächzen, als sie tiefer in die
obere Atmosphäre eintauchte. Interferenzen zuckten durch das
Gel, schaukelten Dorthys Körper hin und her und ließen den
Schein der Leuchtanzeigen zerfließen. Unterhalb des gerippten
Bodens unter ihr wurde der äußere Hitzeschild immer
heißer, glühte rot, glühte goldgelb und dann
weiß, rann nach hinten davon und schoß flüssige Glut
in die Atmosphäre.
    Dorthy spürte nur ihr zunehmendes Gewicht, das sich offenbar
zwischen ihren Brüsten zentralisierte, sich auf ihr Herz legte
und ihren Körper fester in das elastische Gel preßte. Sie
konnte nicht mehr atmen, ihre Mundwinkel wurden schmerzhaft nach
unten gezerrt. Die Augäpfel in ihren Höhlen wurden
flach.
    Der entsetzlichste Moment beim freien Fall. Sie schnappte nach
Luft, doch im selben Augenblick baute sich ihr Körpergewicht
wieder auf.
    Irgend etwas krachte. Eine ganze Reihe der kleinen
Leuchtkontrollen glühte rot auf.
    Und dann war es vorbei. Eins nach dem anderen begannen die
Lämpchen wieder in ihrem freundlichen Grün zu blinken. Der
Druck auf Dorthys Brust ließ nach, ihr Gewicht normalisierte
sich auf einen Wert wenig unterhalb ihrer Erde-Norm. Sie fühlte
die Kapsel weite Achten schwingen, ein Foucault’sches Pendel,
aufgehängt unter dem blütenähnlichen Dach des
Fallschirms. Ein gebieterisches Knacken in ihrem rechten Ohr –
und eine blecherne Stimme sagte etwas zu ihr.
    Im gleichen Augenblick schien sich der chemische Riegel, der ihr
TALENT abschirmte, aufzulösen. Es war, als ob ungebündelte
Weißglut durch die Wände der Sinkkapsel schösse, hier
und da abgemildert durch harte Bruchteile von Intelligenz, verstreute
Edelsteine im Schlamm einer labyrinthischen Welt. Dorthy wurde in die
langweilige Routine des Abwurf-Controllers verstrickt, dessen
Versuche, aus dem brodelnden Gewirr von Hunderten anderer Gehirne in
seiner Umgebung heraus mit ihr Kontakt aufzunehmen, ihr inneres Ohr
strapazierten.
    Das ist ja noch schlimmer als im Schiff, dachte sie, und dann
fühlte sie, wie etwas hinter dem Horizont hervorkam. Eine
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