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Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Titel: Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
Autoren: Paul J. McAuley
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Nova
flammte auf und sandte ihren blendenden Strahl zu ihr herüber.
Es war zu viel. Sie bestand nur noch aus Gefühl, wurde, das
Innerste nach außen gekehrt, hart an das Feuer gepreßt,
konnte nichts davon abwehren oder ausklammern. Durch die roten Nebel
der aufkeimenden Panik versuchte sie sich krampfhaft an das
beruhigende Ritual ihrer Übungen zu erinnern. Aber das Licht war
zu stark, zu hell. Wie eine Fallkapsel in zu steiler Sinkkurve, wie
Ikarus, dieser arme Nachtfalter, zog sie eine glühende Bahn
über den flammenden Himmel.
    Und erlosch.
     
    Lange Zeit schwebte Dorthy im Dämmer zwischen Schlaf und
Erwachen – wie sie manchmal dicht unter der Oberfläche im
Meer beim Great Barrier Reef schwebte, wo das Wasser die Temperatur
von Blut hatte. Man konnte sich hier mit dem Gesicht nach unten
treiben lassen, das Röhrchen, das sie oben mit der Welt voller
Luft verband, durchstieß die schillernde Silberhaut dicht
über ihrem Kopf. Und unter ihr dehnte sich die blaue
Unterwasserwelt. Dabei mußte man aber sehr achtsam sein. Ein zu
tiefes Luftholen würde den Körper auftreiben und beim
Auftauchen eine Rolle drehen lassen. Der Schnorchel würde ins
Wasser tauchen, während die Sonne die Tropfen auf der Maske
aufblitzen ließ, und der nächste Atemzug würde in
einem würgenden Husten enden. Atmete man dagegen zu flach, sank
man den abgerundeten Korallenbuckeln und den Patrouillen-Fischen
entgegen, weg von der silbernen Oberfläche und den hellen
Sandbänken, der unergründlichen Tiefe und Dunkelheit
entgegen.
    (Irgendwo ging eine Tür auf. Ein Luftschwall drang herein,
der einen Geruch nicht unähnlich dem einer Flensfabrik mit sich
trug. Eine Stimme sagte geduldig: »Noch nicht, Colonel. Nein,
kann ich nicht. Vielleicht eine Reaktion auf den Tranquilizer, den
sie für die Landung verabreichen, vielleicht die
Allergen-Impfungen, vielleicht auch was anderes. Ich werde Ihnen
sofort Bescheid geben, wenn sie aufgewacht ist. Aber das wird noch
eine ganze Weile dauern.« Dorthy versuchte, die Augen zu
öffnen, doch die Anstrengung war zu groß. Sie sank aus der
silbrigen Helle zurück ins Dunkel.)
    Ehe man sie weggeschickt hatte, war der Geruch der Flensfabrik
allgegenwärtig gewesen. Wie die weißen Tupfer der
Möwen, die über den Flachdächern der
würfelförmigen Gebäude kreisten und genau den Standort
der Fabrik anzeigten. Dort wurden die riesigen nachenförmigen
Walleiber nach Abziehen der Haut an großen, langsam
vorwärtsrollenden Kranbrücken zerlegt, Walfischspeck und
Muskelfleisch von der Wirbelsäule abgetrennt. Danach pickten
kleinere Kräne wie ein Schwarm Aasgeier an den
übriggebliebenen Knochen herum.
    Hier arbeitete Dorthys Vater.
    Manchmal zeigte er Dorthy, wie die Wale von der Bucht, in die man
sie geschleppt hatte, in die Rutsche schwammen. Das Wasser in dem
Betonkanal war so flach, daß sie die runden Augen sehen konnte,
die für solch große Lebewesen viel zu klein schienen. Sie
hätte den Tang und die Entenmuscheln auf der vorbeigleitenden
verkrusteten Haut der Tiere fast greifen können, hätte sie
den Mut aufgebracht, zwischen dem Geländer des Laufsteges
hindurchzufassen.
    Sie trug dabei immer einen weiten Poncho, denn manchmal gab ein
Wal noch einen übelriechenden öligen Blas von sich. Dorthy
mochte das überhaupt nicht. Sie haßte auch den Moment, in
dem sich die Elektroden anlegten und einen kurzen heftigen
Stromstoß durch den langen Walkörper jagten. Es roch dabei
immer nach verbranntem Wasser. Sie selbst pflegte jedesmal in diesem
Moment zusammenzuzucken. Ihr Vater nahm sie dann immer auf den Arm
und lächelte sie an. Für ihn war das offensichtlich ein
Spaß.
    Auch ihr Onkel Mishio arbeitete hier. Dorthy fürchtete sich
vor seinem vernarbten, einäugigen Gesicht.
    Der Gestank des ranzigen Blubbers hing den ganzen Sommer über
der Fabrik und der kleinen Stadt. Mit Beginn der Walsaison war jeder
innerhalb von Tagen heiser, und die Luft in den kleinen Wohnungen
wurde stickig, weil man die Fenster nicht mehr öffnen konnte.
Aber es war auch der Gestank des Geldes. Die Stadt lebte von der
Walfabrik, der einzigen Industrieansiedlung am Ort.
    Jeden Abend brachte Dorthys Vater diese übelriechende
Duftwolke mit heim und verlor sie erst allmählich im
heißen Bad, das die Mutter ihm schon vorsorglich bereitet
hatte. Dorthy und ihre jüngere Schwester Hiroko hatten sich
still zu verhalten, während der Vater sich im dampfenden Wasser
entspannte, das Abendbrot verzehrte, das seine Frau ihm
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