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Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne

Titel: Alien 1: Vierhundert Milliarden Sterne
Autoren: Paul J. McAuley
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wie
aufgescheuchte Vögel hinter den neuesten Gerüchten her, und
die Männer standen in kleinen Gruppen an den Straßenecken
zusammen, ließen Flaschen kreisen und unterhielten sich
gedämpft. Es war gegen Mitte des Winters, Ende Juni,
traditionell eine Zeit für Unruhen in der Stadt. Die Walherden
tummelten sich in den Ozeanen auf der anderen Seite der Welt, und die
Flensfabrik wie auch fast die ganze übrige Stadt waren
geschlossen. Jeder im Wohnblock befürchtete, das Verschwinden
des Jungen sei ein erstes Warnzeichen für ein neuerliches Pogrom
gegen die Japaner. Viele konnten sich noch an das letzte, kaum
zwanzig Jahre zuvor, erinnern. Viele hatten dabei Angehörige
verloren.
    In dieser Nacht hatte Dorthy ihren Traum, obwohl sie sich nicht
daran als solchen erinnerte. Sie fand sich neben der Schlafmatte
ihrer Eltern in der kühlen Dunkelheit stehend, mit bohrenden
Kopfschmerzen und einem üblen Geschmack im Mund. Die Erinnerung
an die Worte, die sie sagte, als man sie aus ihrer Trance
rüttelte, hallte wie ein Echo durch ihren Verstand.
    Die alten Lagertanks in der Fabrik!
    Daß man diesem ungewöhnlichen und wenig
glaubwürdigen Hinweis unverzüglich nachging, bewies das
Ausmaß der Besorgnis in der kleinen Gemeinde. Eine Gruppe
Männer drang in die geschlossene Fabrik ein. Die meisten wurden
vom Werkschutz vertrieben, doch zwei fanden schließlich den
verschwundenen Jungen zusammengekauert in der Ecke eines nicht mehr
benutzten Lagertanks, in den er hineingefallen war. Das Mannloch
befand sich unerreichbar für ihn zwei Meter über seinem
Kopf.
    An diesem Abend kam Onkel Mishio vorbei, um zu bereden, was jetzt
zu tun sei. Er war der einzige in der Familie des Vaters, der noch
mit ihnen verkehrte. Dorthy lauschte ihren Stimmen, den steigenden
und fallenden Kadenzen, untermalt vom Klirren des Porzellans. Sie lag
im Schlafraum ihrer Eltern, wo sie den ganzen Tag verschlafen hatte.
Sie fühlte sich abwechselnd heiß und kalt, hatte schon
wieder dieses hoffnungslos undefinierbare Schuldgefühl.
    Das Stimmengemurmel ging weiter, und schließlich schlief sie
ein. Als ihr Vater sie weckte, fiel das erste Dämmerlicht in den
Raum. Er grinste breit, sein Gesicht war vom Reiswein gerötet.
Dorthy begann sofort zu weinen, weil sie in ihrer Verwirrung glaubte,
der Vater wolle sie bestrafen. Doch er fuhr sich nur mit dem
Handrücken über den Mund und meinte: »Du bist
anscheinend etwas ganz Besonderes, Tochter, verstehst du? Aber um das
festzustellen, gehen wir morgen nach Darwin.«
    Ihr Onkel Mishio schlug dem Vater auf die Schulter. Sein runzliges
Gesicht schien sich um das einzige schwarze Auge zusammenzuziehen.
»Du hast eine große Zukunft vor dir, Mädchen –
in einer anderen Welt als dieser hier.«
    Und hinter ihm schob sich die Mutter eine widerspenstige Locke aus
dem Gesicht und lächelte zaghaft. Die tiefen Falten um ihren
Mund wurden noch deutlicher. Dieses Bild der Mutter sollte Dorthy
nach ihrem Tod für immer im Gedächtnis haften bleiben
– das Bild einer vom Lebenskampf erschöpften,
verhärmten Frau, zerstört von der Unbeständigkeit
ihres Mannes. Ein zerbrechliches Gefäß der Liebe.
    Auf diese Weise wurde über Dorthys weiteres Leben
entschieden. Nach den Tests wurde sie in das Forschungsprogramm des
Kamali-Silver-Institutes aufgenommen und entfloh somit der engen Welt
ihrer Kindheit, den heruntergekommenen Wohnblocks und dem Gestank der
Flensfabrik, der ständig über der kleinen Stadt an der
westaustralischen Küste hing.
    Und trotzdem nahm sie, obwohl sie jetzt fünfzehn Lichtjahre
von der Erde entfernt in einem Krankenzimmer aufwachte, einen Geruch
wahr, der sehr stark dem traurigen, alles beherrschenden Geruch ihrer
Kindheit ähnelte.
     
    Das Zimmer war fast dunkel. Eine Weile lag sie ganz still und
dachte über ihre schlimmen Träume nach. An das glitzernde
Netz von Gehirnen, an das eine, einzige, das hinter dem Horizont
aufgeflammt war – ein Quasar im Vergleich zu den matten Plejaden
in der menschlichen Kolonie.
    Ein kalter Schauer rann ihr über die Haut. Sie hatte nicht
geträumt. Es war alles wirklich geschehen. Sie war unten,
gelandet auf der Oberfläche des eingenommenen Planeten.
    Sie setzte sich auf. Der Druck lastete nicht länger mehr auf
ihrem Körper, war nur noch wie ein Laken, das bis an die
Hüften verrutscht war. Sie betastete die ungewohnte
Schlaf-Tunika, bemerkte den Tropf, dessen Schlauchkanüle in eine
Ader an der linken Ellbogenbeuge mündete und peristaltisch
pulsierte.
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