Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
um Windwalt und Träumlein nicht ins Korn
     zu drängen. Voran aber tobte der Plischi, der noch jung war, und hintennach zottelte der Peter und ließ sich rufen, denn er
     war schon alt.
    Wenn sie dann eine Weile so nebeneinanderher gegangen waren und hatten alles erzählt, was der Tag mit sich gebracht hatte,
     Gutes wie Schlechtes, so rief der Vater wohl: »Kinder, nun lauft alle, und wer den Plischi zuerst greift, soll ihm ein Stück
     Zucker geben dürfen.«
    Da stoben die Kinder los, und wer sonst sie laufen sah, sah nur zwei: den Murkel und die kleine Mücke. Der Vater aber sah
     vier, und er hastete hinterdrein, dem keuchenden alten Peter auf den Fersen, und er feuerte die Kinder an und rief: »Mücke,
     faß doch den Windwalt an!« Oder: »Murkel, willst du mal das Träumlein nicht schubsen!«
    Dann streckte die kleine Mücke die Hand aus, und wenn sie auch nichts faßte, so war ihr doch, als liefe sie nicht mehr ganz
     allein, weit hinter dem Murkel. Und auch der besann sich, sah sich um, wich zur Seite, während der Plischi, der wohl gemerkt
     hatte, daß die wilde Jagd ihm galt, immer fröhlicher voransprang und immer lauter bellte.
    Am Ende aber blieb er doch stehen und ließ die Kinder an sich, denn es war ihm wohl eingefallen, daß solch fröhliche Jagd
     stets mit einem Stück Zucker endete. Gab es dann Streit, wer ihn zuerst angefaßt hatte, der Murkel oder die Mücke, so war’s
     keines von beiden gewesen, sondern etwa der Windwalt. Dann paßten die Kinder gut auf, wie der Vater |146| dem Windwalt den Zucker gab. Der Windwalt aber war immer so heftig, daß der Zucker fast sofort aus der Hand des Vaters weiterflog
     in des Plischi Maul oder aber zur Erde fiel, von der ihn dann die kleine Mücke aufheben durfte. Träumlein aber hatte immer
     lange Zeit, ließ den Zucker ruhig in Vaters Hand, und der Plischi mußte erst auf den Hinterbeinen stehen, gehen, tanzen –
     und machte er’s sehr gut, flog plötzlich der Zucker durch die Luft in sein Maul – du sahest nicht woher.
    Zuerst trauten die beiden Kinder ihrem Vater noch nicht recht und meinten, Träumlein und Windwalt seien so etwas wie die Frau
     Holle und das Aschenputtel aus dem Märchen. Aber wie der Vater immer dabei blieb und ernst sagte, sie seien wirklich da, die
     beiden, und es gebe alles, was der Mensch nur ernstlich glaube, da gewöhnten sie sich völlig an ihre unsichtbaren Geschwister.
    Besonders schön war das, wenn es dunkel geworden war, und die Kinder lagen in ihren Betten, die Eltern aber saßen noch in
     einem andern Teil des Hauses. Die Betten der Kinder standen weit auseinander, und sie durften nicht miteinander sprechen,
     sie taten es auch nicht. Aber flüstern konnten sie, daß es das andere nicht hörte, und das taten sie denn auch: Murkel mit
     Träumlein, Mücke mit Windwalt. Um sie war die dunkle Nacht, vielleicht ging vor den Fenstern grade der Wind. Sie hörten die
     alte Linde an dem Hausgiebel rauschen, aber sie waren nicht allein: Eines sprach und eines hörte, sie durften alles erzählen,
     das Verbotene wie das Erlaubte – Windwalt und Träumlein schwatzten nicht.
    Kam der Morgen und ging der Murkel, der schon groß war, mit Schiefertafel, Lese- und Rechenfibel in die Schule, so blieb die
     kleine Mücke doch nicht allein. Sie saß vielleicht in ihrer Sandkiste und baute aus Kirschkernen, die immer zahllos von genaschten
     Kirschen unter dem alten Kirschbaum lagen, und aus Gänseblümchen einen Garten. Und wenn etwas nicht gelang, so war der Windwalt
     daran |147| schuld, gelang es aber sehr gut, so mußte es der Windwalt bewundern.
    Unterdes saß der Murkel in der Schule, und wenn auf allen Schulbänken vier Kinder saßen, auf der seinen saßen fünf, ohne daß
     der Lehrer es merkte: Das war das Träumlein, das an seiner Seite saß. Und es war ein Wunder, was das Träumlein alles wußte
     und wie es half, wenn man zu rasch gelesen hatte.
    »Wie heißt das Wort?« fragte der Lehrer strenge, denn der eilige Murkel hatte »weiche« gelesen, weil er wußte, daß das lange
     Wort danach »Heuhaufen« hieß, und es war doch richtig, daß die Heuhaufen weich sind.
    Sah er das Wort nun aber näher an, so merkte er wohl, es konnte nicht »weiche« sein, es lag kein »ei« in seiner Mitte, wie
     ein Ei im Hühnernest. Wenn der Murkel das Wort vor dem Heuhaufen immer länger anschaute – und es war wieder mal so ein häßliches
     Wort, wie er sie gar nicht mochte, oben lang und unten lang – und er kam nicht darauf,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher