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Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei
Autoren: Hans Fallada
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ganz auf zu brüllen.
    Die Mutter aber, die das Kind dreimal umsonst gefragt hatte, war jetzt böse auf das Kind und fragte es nicht mehr. Da dachte
     das Kind: Meine Mutter ist böse auf mich. Ich will ein bißchen an der Tür kratzen. Dann fragt sie mich, ob ich wieder artig
     sein will, ich aber sage ja und darf hinein. Und das Kind kratzte an der Tür.
    Die Mutter hörte es wohl, aber sie wollte das ungezogene Kind nicht mehr fragen, und so schwieg sie. Nun fing das Kind an
     zu rufen: »Ich will artig sein! Laß mich herein!«
    Da fuhr die Maus aus dem Mäusegang und rief atemlos: »Gott, was war das für eine herrliche Geschichte! Entschuldige bloß,
     daß ich nicht kam, aber ich konnte nicht früher kommen, als bis ich das allerletzte Wort gehört hatte.«
    Die Fliege schwirrte durch das Schlüsselloch und summte: »So eine vorzügliche Geschichte hört man wirklich nicht alle |12| Tage. Da war es kein Wunder, daß die Kinder gegessen haben wie die Scheunendrescher – auch nicht ein Löffel voll blieb in
     der Schüssel!«
    Und die Ameise kroch unter der Tür hervor und ächzte: »So eine großartige Geschichte und dazu noch Schokoladenpudding und
     Vanillensoße – so gut möchte ich es auch einmal haben!«
    »Was?!« rief da das unartige Kind. »Es hat Schokoladenpudding mit Vanillensoße gegeben?! Da will ich auch was abhaben!« Und
     es riß die Tür auf und schrie: »Ich will auch Pudding mit Vanillensoße! Ich will ganz artig sein! Und die kleine Geschichte
     will ich auch hören!«
    Da fingen alle Kinder mit der Mutter an zu lachen und zeigten dem unartigen Kind die Puddingschüssel – da war auch nicht ein
     Krümchen mehr darauf. Und sie zeigten ihm die Teller, die waren so blank und leer, als wären sie mit der Zunge abgeleckt.
     Die Mutter aber sagte: »Warum hast du dich nicht zur rechten Zeit besonnen, Kind? Nun ist nichts mehr da.«
    Das Kind fing an zu weinen und sagte: »Wenn ich denn keinen Pudding mehr bekomme, so will ich doch die wunderbare, die herrliche,
     die großartige kleine Geschichte hören, die du meinen Geschwistern erzählt hast.«
    Die Mutter aber antwortete: »Jetzt ist später Abend. Jetzt werden keine Geschichten mehr erzählt, jetzt wird ins Bett gegangen.«
    Da mußte das unartige Kind ohne Pudding und ohne kleine Geschichte ins Bett gehen, und darüber war es sehr traurig. Hätte
     es sich aber zur rechten Zeit besonnen, so hätte es Pudding und kleine Geschichte bekommen, und das wäre besser für das Kind
     gewesen und ebenso für uns, denn dann hätten wir die kleine Geschichte auch zu hören bekommen!

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    |13| Geschichte vom Mäusecken Wackelohr
    In einem großen Stadthaus wohnte einmal eine Maus ganz allein, die hieß Wackelohr. Als Kind war sie einst von der Katze überfallen
     und dabei war ihr das Ohr so zerrissen worden, daß sie es nicht mehr spitzen, sondern nur noch damit wackeln konnte. Darum
     hieß sie Wackelohr. Und dieselbe alte böse Katze hatte ihr auch alle Brüder und Schwestern und die Eltern gemordet, deshalb
     wohnte sie so allein in dem großen Stadthaus.
    Da war es ihr oft einsam, und sie klagte, daß sie so gerne ein anderes Mäusecken zum Spielgefährten gehabt hätte, am liebsten
     einen hübschen Mäuserich. Aber von dem Klagen kam keiner, und Wackelohr blieb allein.
    Als nun einmal alles im Hause schlief und die böse Katze auch, saß Wackelohr in der Speisekammer, nagte an einem Stück Speck
     und klagte dabei wieder jämmerlich über seine große Verlassenheit. Da hörte es eine hohe Stimme, die sprach: »Hihi! Was bist
     du doch für ein dummes, blindes Mäusecken! Du brauchst ja nur aus dem Fenster zu schauen und siehst den hübschesten Mäuserich
     von der Welt! Dabei geht es ihm auch noch wie dir: Er ist ebenso allein wie du und sehnt sich herzlich nach einem Mäusefräulein.«
    Wackelohr guckte hierhin, und Wackelohr guckte dorthin, Wackelohr sah auf den Speckteller und unter den Tellerrand – aber
     Wackelohr erblickte niemanden. Schließlich sah es zum Fenster hinaus. Drüben war nur ein anderes großes Stadthaus mit vielen
     Fenstern, die in der Abendsonne glitzerten, und kein Mäuserich war zu erblicken. Da war Wackelohr ungeduldig. »Wo bist denn
     du, die mit mir |14| spricht? Und wo ist denn der schöne Mäusejunge, von dem du erzählst?«
    »Hihi!« rief die hohe Stimme. »Bist du aber eine blinde Maus! Schau doch einmal hoch zur Decke, ich sitze ja grade über dir!«
    Das Mäusecken sah hoch und, richtig!, grade
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