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Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei
Autoren: Hans Fallada
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ohne an
     den süßen Sirup zu gehen. Der Sirup aber klebt, im Keller ist kein Wasser, ihn abzuwaschen, so erwische ich sie heute abend
     als Diebin, kann sie aus dem Hause jagen und bin sie für immer los!
    Die Ratte indessen saß trübselig im Keller und dachte: Das ist wirklich ein trübseliges Geschäft. Die Wände sind aus Stein,
     und die Tür hat er abgeschlossen – wie können da Diebe hereinkommen? Er will mich nur verführen, daß ich an den süßen Sirup
     gehe – aber das tue ich nicht, und müßte ich zwei Jahre hier unten sitzen! Damit legte sie sich in eine Ecke und schlief ein.
    Als sie aber ausgeschlafen hatte, fühlte sie großen Hunger. Sie lauschte und hörte, wie es immerzu »dripp-dripp -dripp « machte. Das war der Sirup, der langsam aus dem Hahn in das Blechschälchen darunter tropfte, denn der Hahn schloß nicht ganz
     fest. Riechen könnte ich ja mal an dem Sirup, dachte die Ratte. Davon werde ich nicht klebrig.
    Also ging sie hin und roch. Sie fand, der Sirup roch süß, |138| und ihr Hunger wurde noch größer davon. Sie sah aber auch, daß die Schale fast vollgetropft und nahe am Überlaufen war. Wenn
     der Hahn nur ein bißchen stärker tropfte, überlegte die Ratte, würde die Schüssel überlaufen. Der Sirup ränne auf den Boden,
     und ich könnte nichts dafür, wenn ich klebrig würde.
    Lief die Ratte also am Faß hoch, auf den Hahnstutzen und drückte gegen den Hahn. Bumms! war der Hahn ganz zu, und der Sirup
     tropfte nicht mehr. Nein, so was! dachte die Ratte verblüfft. Das habe ich mir ja nun anders gedacht!
    Und sie drückte nochmals gegen den Hahn und kräftig! Bumms! flog der Hahn heraus, der Sirup strömte aus dem Faß, lief über
     die Schüssel und durch den Keller. Nein, so was! dachte die Ratte. Das habe ich mir ja nun ganz anders gedacht!
    Indem fühlte sie ein Kribbeln an ihrem langen Schwanz, der vom Stutzen auf die Erde hing, und als sie zusah, merkte sie, daß
     dies Kribbeln vom Sirup kam, der über den Kellerboden lief. Das ist gar nicht so schlecht, dachte die Ratte, zog den Schwanz
     hoch und leckte ihn ab, paßte dabei aber fein auf, daß sie sich nicht klebrig machte. »Ei, schmeckt das süß!« rief sie erfreut.
     »So kann das immer weitergehen!« Und sie tunkte den Schwanz immer wieder in den fließenden Sirup, paßte aber gut auf, daß
     kein Härchen ihres Fells klebrig wurde.
    Als der Hausherr nun am Abend wohlgemut die Kellertür aufschloß und dachte: Heute habe ich die Ratte aber reingelegt, rutschte
     er in dem klebrigen Sirup so aus, daß er sich mit Gewalt niedersetzte.
    »Was ist das –?!« schrie er mit drohender Stimme.
    »Das ist Sirup, Hausherr!« antwortete die Ratte ganz kaltblütig.
    »Wie kommt der Sirup aus meinem Faß auf den Kellerboden?« brüllte der Hausherr mit fürchterlicher Stimme. »Ratte! jetzt muß
     ich dich gewißlich ermorden!«
    |139| »Du kannst mich ja nicht ermorden, Hausherr!« sprach die Ratte darauf mit feiner und freundlicher Stimme. »Sieh doch mein
     Fellchen an. Kein Tröpfchen Sirup klebt an einem Härchen. Allezeit bin ich deine gehorsame Freundin gewesen. Bin ich doch
     sogar, um dir nicht zu schaden, hier auf das Faß geflüchtet – du aber setzt dich mit aller Gewalt in den Sirup und verdirbst
     viel von dem teuren Saft!«
    Der Hausherr kam fast um vor Wut, und doch konnte er nichts gegen das vorbringen, was die Ratte sagte. Kein Härchen war vom
     Sirup verklebt, und ihre Füße waren völlig rein. »Wie aber kommt der Zapfen aus dem Faß, Ratte?« fragte er mit schon schwächerer
     Stimme.
    »Wie kann ich das wissen, Hausherr?« sagte die Ratte mit unschuldiger Stimme. »Ich bin ja eine Ratte, kein Zapfen. Erst hat
     er immerzu getropft, aber dann ist ihm das Tropfen wohl zu langweilig geworden, und er ist herausgesprungen. Vielleicht fragst
     du einmal den Zapfen, Hausherr?«
    Der Hausherr sah die Ratte böse an, schwieg jetzt aber. Er merkte wohl, daß sie ihn bloß verhöhnte, aber er konnte ihr nichts
     beweisen, und so trug er sie schweigend aus dem Keller in ihr Kistchen am Küchenherd. Dort forderte sie sich gleich frech
     Futter, und sie fraß so viel, daß der Hausherr wieder zweifelhaft wurde und dachte: Vielleicht hat sie doch die Wahrheit gesprochen
     und nicht von dem Sirup genascht. So viel könnte sie doch sonst nicht fressen.
    Das wurde ein trauriger Abend in der Familie! Ein Faß Sirup ausgelaufen und verdorben, der Anzug des Hausherrn verschmutzt
     und verklebt und dazu die Aussicht,
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