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Geschichten aus der Murkelei

Titel: Geschichten aus der Murkelei
Autoren: Hans Fallada
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machte die Augen zu und rutschte. Da war er heil und gesund unten.
    Träumlein und Windwalt waren immer da, sie machten, daß ein Kind nie allein war. Sie redeten und sie waren stumm, sie liefen
     um die Wette und saßen still, sie halfen |150| und sie hatten immer Zeit, ganz anders als die andern Kinder im Dorf.
    Nun wurden die Kinder größer und größer – da wurde wieder alles anders. Denn da geschah es, daß die Mutter anfing zu schelten,
     und sie sagte: »Vater, was ist das für eine schreckliche Murkelei mit unsern Kindern –?! Das halte ich nicht mehr aus, und
     das mache ich nicht mehr mit! Die Mücke hat ihr Taschentuch verloren. Nein, sagt sie, der Windwalt hat’s verspielt. Der Murkel
     läßt die Tür offenstehen; er soll sie zumachen. Nein, sagt er, er ist nicht zuletzt durchgegangen, das Träumlein war’s. So
     geht es nun alle Tage: Ist ein Klecks im Schulheft, war’s der Windwalt; das Loch hat Träumlein in die Hose gerissen; die Katze
     Windwalt gezwickt; den Blumentopf Träumlein hinuntergestoßen – nein, was ist das für eine schreckliche Murkelei! Da finde
     ich nicht mehr heraus!«
    Der Vater fragte die Kinder ernst, ob das wohl so wäre, ob alles Schlechte und Verkehrte die unsichtbaren Geschwister, alles
     Gute und Richtige aber Murkel und Mücke täten. Die Kinder senkten die Köpfe und antworteten nicht. Da sagte der Vater, er
     wolle es noch eine Woche mit ansehen, sei es dann nicht anders geworden, so müsse er Träumlein und Windwalt in die Welt schicken.
    In dieser einen Woche wurde ein Spiegel zerbrochen: hatte der Windwalt getan. Vaters Zeitung lag zerrissen beim Plischi in
     der Hundehütte statt auf seinem Schreibtisch: hatte keiner verschleppt, vielleicht aber das Träumlein …
    So ging es immer weiter, bis der Vater die Kinder an der Hand nahm und mit ihnen hinausging in das Land, auf einen Berg, wo
     man die Seen, die Wälder, die Dörfer und die weiten, langen Landstraßen sieht. Es war ein grauer, windiger Herbsttag, die
     Kinder gingen still an des Vaters Hand, traurig zottelte der Plischhund hinterdrein.
    Als sie auf die Höhe des Berges gekommen waren und das Land unter sich sahen mit den vielen Straßen, nahm der |151| Vater seine eigenen Kinder bei der Hand, und er sprach: »Nun gehet hinaus in die Welt, Träumlein und Windwalt! Meine Kinder
     wollen jetzt große Menschen sein, da können sie euch nicht mehr gebrauchen.« Und er winkte ihnen zu und rief: »Ihr seid treue
     und hilfreiche Geschwister gewesen, dafür sollt ihr vielmals bedankt sein. Vielleicht kommt noch einmal wieder eine Zeit,
     da wir euch brauchen können. Dann kommt ihr wieder zu uns!«
    Die Kinder fingen jämmerlich an zu weinen. Denn wenn sie in der letzten Zeit schon nicht mehr so recht an ihre Geschwister
     geglaubt hatten, sondern immer gedacht hatten, sie seien nur ein Märchen vom Vater – nun, da sie grausam in die herbstliche,
     windige Welt gestoßen sein sollten, gedachten sie, wie die lieben Unsichtbaren Abend für Abend bei ihnen in den Betten gelegen
     hatten, und sie taten ihnen von Herzen leid. Doch vor allen Tränen hatten sie nicht gesehen, welche Straße Windwalt und Träumlein
     gegangen waren. Darüber bekamen sie schon auf dem Heimweg das Zanken, der Vater aber ging still nebenher, denn er hatte seine
     Kinder Windwalt und Träumlein von Herzen liebgehabt.
    Die Zeit ging und ging, und die Kinder wurden große Leute, die keiner mehr Mücke und Murkel nannte, sondern Herr und Fräulein,
     und sie hatten so viel zu tun und zu denken, daß sie ihre alten Geschwister fast ganz vergaßen und gar nie mehr an sie dachten.
     Nur der Vater, der nun sehr alt geworden war, dachte noch an sie, und er sprach oft mit der Mutter darüber, welch lustige
     Murkelei doch das Haus gewesen war, als darin noch die kleine Mücke, der Windwalt, das Träumlein und der Murkel lebten.
    Nach abermals einer Zeit aber hatten die Mücke wie der Murkel selber Kinder, und als diese Kinder größer geworden waren, verlangten
     sie, daß ihnen Mücke und Murkel erzählten, wie es gewesen war, als sie selbst Kinder waren. Da besannen sich Mücke und Murkel
     auf das Träumlein und |152| den Windwalt, und sie erzählten ihren Kindern vieles von den beiden. Und den Kindern war es ganz so, als hätten Träumlein
     und Windwalt wirklich gelebt, und es waren doch nur ausgedachte Kinder!
    So aber ist es auf dieser Welt: Wenn man etwas nur wirklich glaubt, so ist es auch da. Es gibt nicht bloß, was man mit
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