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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod
Autoren: Diana H. Preston
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Einleitung
    Die Geburt eines Helden
    »Geschafft! Wir haben gefunden, wonach wir suchten! Mein Gott, was für eine Wendung des Schicksals.« Mit diesen Worten schilderte der junge Norweger Tryggve Gran die grauenhafte Entdeckung, die eine Suchmannschaft am 12. November 1912 auf ihrem Treck über das blendende Weiß des antarktischen Ross-Schelfeises machte. Sie hatten das schneebeladene Zelt mit den Leichen von Kapitän Scott und seinen beiden Gefährten, Edward Wilson und Henry »Birdie« Bowers, entdeckt. Sie waren in einer Entfernung von nur 20 Kilometern von dem Lebensmittel- und Brennstofflager gestorben, das sie hätte retten können. Von den beiden anderen Mitgliedern der Polarexpedition, Rittmeister »Titus« Oates und Unteroffizier Edgar Evans, fehlte jede Spur. Doch Scotts Tagebücher und Briefe, die bei seiner Leiche gefunden wurden, berichteten von ihrem schrecklichen Schicksal. Es war eine Geschichte, die um die ganze Welt gehen und sie alle zu Helden machen sollte.
    Scott und seine vier Kameraden waren über ein Jahr zuvor von Cape Evans am McMurdo Sound aufgebrochen, um die britische Fahne am Südpol zu hissen, und hätten spätestens Anfang April 1912 zurückkehren sollen. Auch einige Wochen danach war die bei Cape Evans zurückgebliebene Gruppe noch immer voller Hoffnung. In Antarktika spielen seltsame Lichteffekte den Augen bisweilen üble Streiche. Manchmal glaubten die Beobachter, am Horizont kleine Punkte erkennen zu können, Männer mit Schlitten, die sich vorwärts bewegten, nur um dann feststellen zu müssen, dass es sich um eine Luftspiegelung gehandelt hatte oder um ein paar Seehunde, die über das Eis robbten. Mitunter fingen die Schlittenhunde wie zur Begrüßung an zu jaulen, und die Männer stürzten ins Freie, riefen dem Koch zu, er solle sich in Bewegung setzen, die Polarexpedition sei zurück, und jemand solle zum Grammophon gehen und die Platte mit der Nationalhymne auflegen. Aber am 24. April senkte sich der sonnenlose antarktische Winter mit seiner »alptraumhaften Dunkelheit« 1 herab und begrub all die sehnlichen Hoffnungen unter sich.
    Nun erhob sich die Frage, wie Scott und seine Begleiter umgekommen waren. Hatten sie überhaupt den Pol erreicht? Waren sie in eine Spalte gestürzt und hatten ihre Geheimnisse mit in den Tod genommen? Als die Sonne wiederkehrte, hielten die übrigen Mitglieder der Expedition es für ihre Pflicht, die Wahrheit herauszufinden. Die Suchmannschaft fand die Antwort nur 275 Kilometer von ihrer Basis entfernt. Ein dunkler Fleck erwies sich als die Spitze eines Zelts. Es dauerte einige Zeit, bis sie es über sich brachten hineinzusehen. Diese Aufgabe fiel dem ranghöchsten Offizier zu, Dr. Atkinson. Ihm bot sich eine Szene dar, die an die Ritter der Artusrunde erinnerte. Der tote Held, Kapitän Scott, lag erfroren in seinem Schlafsack aus Rentierfell, den Arm über Wilson gestreckt, als suche er bei ihm Trost. Bowers und Wilson lagen wie treue Gefolgsleute an Scotts Seite.
    Doch im November 1912 ahnte die Welt noch nichts von dieser Katastrophe. Die einzige Möglichkeit der Expedition, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, bot ihr Schiff, die Terra Nova , doch sie war im März in Richtung Neuseeland gesegelt, also noch ehe es einen Grund zur Sorge gab. Was die Welt jedoch wusste, war, dass der norwegische Forscher Roald Amundsen den Südpol als erster erreicht und Scott geschlagen hatte. Die Nachricht, dass Scott und seine vier Gefährten ebenfalls den Pol erreicht hatten, aber auf ihrer Rückreise umgekommen waren, verbreitete sich erst Anfang Februar 1913.
    Zu diesem Zeitpunkt befand sich Scotts Frau Kathleen auf dem Weg nach Neuseeland, wo sie mit ihrem Mann zusammentreffen wollte, ohne, wie die Zeitungen eilends erklärten, auch nur zu ahnen, dass sie schon seit beinahe einem Jahr Witwe war. Sie wusste also auch nichts von dem großen Gedenkgottesdienst am 14. Februar in der St. Paul’s Cathedral, nur zwei Tage nachdem die Nachricht bekanntgegeben worden war. Unzählige Menschen schlossen sich der Trauergemeinde an, die der König persönlich anführte.
    Die Tragödie hatte tiefgreifende Auswirkungen. Aus Scott wurde sofort ein viel größerer Held, als wenn er überlebt hätte, und er blieb es auch. Warum? Was hatte der Mann vollbracht, dass er die britische Seele so sehr in Bann schlug, obwohl er sein ganzes Leben lang das Gefühl gehabt hatte, in einer »fein mahlenden« Maschine gefangen zu sein 2 , obwohl er sich nie völlig als Herr
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