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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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ihrer Unbesiegbarkeit. Im Jahre 1914 kam die neue, viel schwerere Prüfung.
    In bezug auf Ausrüstung und Finanzen zeigt sich Rußland im Kriege sogleich in sklavischer Abhängigkeit von seinen Verbündeten. Das ist nur der militärische Ausdruck seiner allgemeinen Abhängigkeit von den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Doch die Hilfe der Verbündeten rettet die Lage nicht. Der Mangel an Kampfvorräten, das Fehlen von Fabriken für deren Herstellung, das dünne Eisenbahnnetz für deren Zufuhr, übersetzen die Rückständigkeit Rußlands in die allgemein verständliche Sprache der Niederlagen, die die russischen Nationalliberalen daran erinnern, daß ihre Ahnen die bürgerliche Revolution nicht vollendet hatten und die Nachkommen vor der Geschichte deshalb schuldig seien.
    Die ersten Tage des Krieges waren auch die ersten Tage der Schmach. Nach einer Reihe von Teilkatastrophen brach im Frühling 1915 der allgemeine Rückzug herein. Ihre verbrecherische Unfähigkeit ließen die Generale an der friedlichen Bevölkerung aus. Riesenflächen wurden gewaltsam verwüstet. Die menschliche Heuschrecke mit Nagajkas ins Hinterland getrieben. Die äußere Zerstörung durch die innere vervollständigt.
    Auf besorgte Fragen seiner Kollegen über die Lage an der Front antwortete der Kriegsminister, General Poliwanow, wörtlich: "Ich vertraue auf die unwegsamen Flächen, auf die uferlosen Sümpfe und auf die Gnade des heiligen Nikolaus Mirlikijski, des Schutzpatrons des heiligen Rußland" (Sitzung vom 4. August 1915). Eine Woche später gestand General Russki den gleichen Ministern: "Die modernen Forderungen der Kriegstechnik gehen über unsere Kraft. Jedenfalls können wir es mit Deutschland nicht aufnehmen." Das war keine Augenblicksstimmung. Der Offizier Stankewitsch gibt die Worte eines Korpsingenieurs so wieder: "Mit den Deutschen Krieg zu führen ist hoffnungslos, denn wir sind nicht imstande, etwas zu tun. Sogar die neuen Kampfmethoden verwandeln sich in Ursachen unserer Mißerfolge." Solche Urteile gibt es ohne Zahl.
    Das einzige, was die russischen Generale mit Schwung taten, war das Herausholen von Menschenfleisch aus dem Lande. Mit Rind- und Schweinefleisch ging man unvergleichlich sparsamer um. Die grauen Generalstabsnullen, Januschke-witsch unter Nikolai Nikolajewitsch, wie Alexejew unter dem Zaren, verstopften die Löcher mit neuen Aushebungen, trösteten sich und die Alliierten mit Zahlenkolonnen, wo man Kämpferkolonnen brauchte. Annähernd 15 Millionen Menschen wurden mobilisiert, die die Depots, Kasernen, Etappen füllten, herumlungerten, herumstampften, einander auf die Füße traten, verbitterten, fluchten. Waren diese menschlichen Massen für die Front eine vermeintliche Größe, so waren sie ein wirklicher Faktor des Zerfalls im Hinterlande. Etwa 51/2 Millionen wurden als tot, verwundet und gefangen registriert. Die Zahl der Deserteure wuchs. Schon im Juli 1915 jammerten die Minister: "Armes Rußland. Sogar seine Armee, die in vergangenen Zeiten die Welt mit Siegesdonner erfüllt hatte ... auch sie besteht nur, wie sich herausstellt, aus Feiglingen und Deserteuren."
    Die gleichen Minister, die mit Galgenhumor über den "Generalsrückzugmut" witzelten, verbrachten Stunden und Stunden über dem Problem: soll man die Reliquien aus Kiew wegbringen oder nicht? Der Zar war der Meinung, man brauche es nicht, denn "die Deutschen werden nicht wagen, sie anzurühren, und wenn sie sie anrühren, desto schlimmer für die Deutschen." Die Synode jedoch begann bereits mit der Ausfuhr: "Wenn wir die Stadt verlassen, nehmen wir unser Teuerstes mit." Das geschah nicht zur Zeit der Kreuzzüge, sondern im zwanzigsten Jahrhundert, als die Berichte über die russischen Niederlagen radiotelegraphisch weitergegeben wurden.
    Rußlands Erfolge gegen Österreich-Ungarn wurzelten mehr in Österreich-Ungarn als in Rußland. Die auseinanderfallende habsburgische Monarchie hatte schon längst Bedarf an einem Totengräber, ohne dabei von ihm hohe Qualifikationen zu verlangen. Rußland hatte auch in der Vergangenheit Erfolg gegen innerlich in Auflösung befindliche Staaten wie die Türkei, Polen und Persien gehabt. Die Südwestfront der russischen Armee, gegen Österreich-Ungarn gewandt, kannte bedeutende Siege, was sie von den anderen Fronten unterschied. Hier taten sich einige Generale hervor, die zwar ihre militärische Begabung durch nichts bewiesen hatten, aber zumindest nicht vom Fatalismus unentwegt geschlagener Kriegsführer
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