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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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gezeichnet waren. Aus diesem Milieu gingen später einige weiße "Helden" des Bürgerkrieges hervor.
    Alle suchten, wem die Schuld aufgebürdet werden könnte. Man beschuldigte kurzweg die Juden der Spionage. Man plünderte Menschen mit deutschen Namen aus. Der Generalstab des Großfürsten Nikolai Nikolajewitsch ließ den Gendarmerieoberst Mjassojedow als deutschen Spion, der er allem Anscheine nach nicht war, erschießen. Man verhaftete den Kriegsminister Suchomlinow, einen hohlen und unsauberen Menschen, unter der vielleicht nicht unbegründeten Anschuldigung des Verrates. Der britische Außenminister Grey sagte dem Vorsitzenden der russischen parlamentarischen Delegation: "Ihre Regierung ist sehr kühn, wenn sie sich entschließen kann, im Kriege den Kriegsminister des Verrates zu beschuldigen." Die Stäbe und die Duma bezichtigten den Hof des Germanophilentums. Alle zusammen beneideten und haßten die Alliierten. Das französische Kommando schonte seine Armeen, indem es russische Soldaten vorschob. England kam nur langsam in Schwung. In Petrograder Salons und in den Frontstäben scherzte man lieblich: "England hat geschworen, standhaft durchzuhalten bis zum letzten Blutstropfen ... des russischen Soldaten." Diese Späßchen sickerten nach unten und bis an die Front durch. "Alles für den Krieg!" sagten Minister, Deputierte, Generale, Journalisten. "Ja", begann der Soldat im Schützengraben zu grübeln, "alle sind bereit bis zum letzten Tropfen ... meines Blutes zu kämpfen."
    Die russische Armee verlor im Kriege mehr Menschen als irgendein anderes am Völkerschlachten beteiligtes Heer, nämlich 21/2 Millionen Seelen, etwa 40% der Verluste aller Ententearmeen. In den ersten Monaten starben die Soldaten unter den Geschossen ohne nachzudenken, oder ohne viel nachzudenken. Doch sammelten sie täglich mehr Erfahrung, die bittere Erfahrung der "Gemeinen", die man nicht zu führen versteht. Sie ermaßen den Wirrwarr der zwecklosen Verschiebungen seitens der Generale an den abgerissenen Sohlen und der Zahl der versäumten Mittagessen. Vom blutigen Brei der Menschen und Dinge ging das verallgemeinernde Wort aus: Wahnsinn, das in der Soldatensprache durch ein saftigeres Wort ersetzt wurde.
    Am schnellsten löste sich die bäuerliche Infanterie auf. Die Artillerie, mit ihrem hohen Prozentsatz Industriearbeiter, zeichnet sich im allgemeinen durch größere Aufnahmefähigkeit für revolutionäre Ideen aus: das hatte sich im Jahre 1905 kraß gezeigt. Wenn sich dagegen die Artillerie im Jahre 1917 konservativer als die Infanterie erwies, lag der Grund darin, daß durch die Infanterietruppenteile, wie durch ein Sieb, immer neue und immer weniger bearbeitete Menschenmassen gingen; die Artillerie aber, die unendlich geringere Verluste zu tragen hatte, behielt ihre alten Kader. Das gleiche konnte man bei den anderen Spezialtruppen beobachten. Aber letzten Endes hielt auch die Artillerie nicht stand. Während des Rückzuges aus Galizien wurde ein Geheimbefehl des Höchstkommandierenden erlassen: wegen Desertion und anderer Verbrechen die Soldaten mit Ruten zu peitschen. Der Soldat Pirejko erzählt: "Man begann die Soldaten wegen der nichtigsten Vergehen auszupeitschen, wie zum Beispiel wegen eigenmächtiger Entfernung von der Truppe für einige Stunden; mitunter peitschte man nur zu dem Zwecke, den Kriegsgeist zu heben." Bereits am 17. September 1915 schrieb Kuropatkin, sich auf Gutschkow berufend: "Die Soldaten gingen mit Begeisterung in den Krieg. Jetzt sind sie müde und haben durch den ständigen Rückzug den Glauben an den Sieg verloren." Ungefähr zur gleichen Zeit charakterisierte der Innenminister die in Moskau in den Lazaretten befindlichen 30.000 genesenden Soldaten: "Das ist eine gewalttätige Bande, die keine Disziplin anerkennt, randaliert, sich mit den Schutzleuten in Schlägereien einläßt (kurz vorher war einer von Soldaten erschlagen worden), Verhaftete befreit und so weiter. Es unterliegt keinem Zweifel, daß im Falle von Unruhen diese Horde sich der Menge anschließen wird." Der gleiche Soldat Pirejko schreibt: "Alle, ohne Ausnahme, interessierten sich nur für den Frieden ... Wer siegen wird, und wie der Sieg sein wird - das interessierte die Armee am wenigsten. Sie brauchte Frieden um jeden Preis, denn sie war des Krieges müde."
    Eine Frau mit Beobachtungsgabe, S. Fedortschenko, hat als Krankenschwester die Gespräche, ja fast schon die Gedanken der Soldaten belauscht und kunstvoll auf losen Blättern
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