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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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1918/19 keine andere Organisationsform gefunden hat als die der Räte.
    Unmittelbare Aufgabe der Revolution von 1917 war noch immer der Sturz der bürokratischen Monarchie. Doch zum Unterschiede von den alten bürgerlichen Revolutionen trat jetzt als entscheidende Kraft die neue Klasse hervor, entstanden auf Grundlage der konzentrierten Industrie, ausgerüstet mit einer neuen Organisation und neuen Kampfmethoden. Das Gesetz der kombinierten Entwicklung enthüllt sich uns hier in seinem weitestgehenden Ausdruck: beginnend mit der Hinwegräumung der mittelalterlichen Fäulnis, bringt die Revolution nach einigen Monaten das Proletariat mit der Kommunistischen Partei an der Spitze zur Herrschaft.
    Nach ihren ursprünglichen Aufgaben war die russische Revolution mithin eine demokratische Revolution. Doch stellte sie das Problem der politischen Demokratie auf neue Art. Während die Arbeiter unter Einbeziehung der Soldaten und zum Teil auch der Bauern das ganze Land mit Sowjets überzogen, feilschte die Bourgeoisie noch immer um die Frage der Einberufung oder Nichteinberufung der Konstituierenden Versammlung. Im Verlaufe der Darstellung der Ereignisse wird diese Frage in ihrer ganzen Konkretheit vor uns erstehen. Hier wollen wir nur den Platz bezeichnen, den die Sowjets in der historischen Reihenfolge revolutionärer Ideen und Formen einnehmen.
    Mitte des siebzehnten Jahrhunderts entfaltete sich die bürgerliche Revolution in England im Gewande der religiösen Reformation. Der Kampf um das Recht, nach einem eigenen Gebetbuch zu beten, identifizierte sich mit dem Kampf gegen König, Aristokratie, Kirchenfürsten und Rom. Die Presbyterianer und Puritaner waren tief davon überzeugt, daß sie ihre irdischen Interessen unter den unerschütterlichen Schutz der göttlichen Vorsehung gestellt hatten. Die Aufgaben, für die die neuen Klassen kämpften, verwuchsen in deren Bewußtsein mit dem Bibeltext und den Formen kirchlicher Gebräuche. Die Emigranten nahmen diese durch Blut gefestigte Tradition über den Ozean mit. Daher die seltene Zähigkeit der angelsächsischen Interpretation des Christentums Wir sehen, wie die Minister-"Sozialisten" Großbritanniens auch heute noch ihre Feigheit mit den gleichen magischen Texten begründen, aus denen die Männer des siebzehnten Jahrhunderts Rechtfertigung für ihren Mut gesucht hatten.
    In Frankreich, das die Reformation übergangen hatte, erlebte die Katholische Kirche als Staatskirche die Revolution, die nicht in Bibeltexten, sondern in Abstraktionen der Demokratie Ausdruck und Rechtfertigung für die Aufgaben der bürgerlichen Gesellschaft fand. Wie groß der Haß der heutigen Lenker Frankreichs gegen das Jakobinertum auch sein mag, Tatsache bleibt, daß gerade dank der rauhen Arbeit Robespierres sie alle Möglichkeiten behalten haben, ihre konservative Herrschaft mit jenen Formeln zu verhüllen, durch die einst die alte Gesellschaft gesprengt wurde.
    Jede große Revolution hat neue Etappen der bürgerlichen Gesellschaft und neue Bewußtseinsformen ihrer Klassen zu verzeichnen Wie Frankreich über die Reformation hinwegschritt, so hat Rußland die formale Demokratie übergangen. Die russische revolutionäre Partei, der es bevorstand, ihren Stempel einer ganzen Epoche aufzupressen, suchte den Ausdruck für die Aufgaben der Revolution nicht in der Bibel, nicht im säkularisierten Christentum der "reinen" Demokratie, sondern in den materiellen Verhältnissen der Gesellschaftsklassen. Das Sowjetsystem gab diesen Verhältnissen den einfachsten, unverhülltesten, klarsten Ausdruck. Die Herrschaft der Werktätigen fand zum ersten Male ihre Verwirklichung in diesem System, das, wie auch seine nächsten historischen Schicksalswendungen sein mögen, ebenso unaustilgbarem das Bewußtsein der Massen eingedrungen ist wie seinerzeit das System der Reformation oder der reinen Demokratie.
    Fußnote von Trotzki
    1. Die Behauptung stammt von Prof. M.N. Pokrowski. S. Anhang Nr.1.

Kapitel 2: Das zaristische Rußland im Kriege
    Die Beteiligung Rußlands am Kriege war den Motiven und Zielen nach widerspruchsvoll. Der blutige Kampf ging im wesentlichen um die Weltherrschaft. In diesem Sinne überstieg er Rußlands Kraft. Rußlands sogenannte Kriegsziele (die türkischen Meerengen, Galizien, Armenien) hatten provinziellen Charakter und konnten nur nebenbei gelöst werden, je nachdem sie mit den Interessen der entscheidenden Kriegsteilnehmer im Einklang standen.
    Gleichzeitig aber konnte Rußland als
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