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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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der Nation.
    England vollzog seine puritanische Revolution, als seine Gesamtbevölkerung 51/2 Millionen nicht überstieg, wovon 1/2 Million auf London kam. In seiner Revolutionsepoche hatte Frankreich in Paris auch bloß 1/2 Million Einwohner bei 25 Millionen Gesamtbevölkerung. Rußlands Bevölkerung betrug zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts etwa 150 Millionen, von denen mehr als 3 Millionen auf Moskau und Petrograd einfielen. Hinter diesen vergleichenden Zahlen verbergen sich große soziale Unterschiede. Weder das England des siebzehnten noch das Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts haben das neuzeitige Proletariat gekannt. Indes zählte im Jahre 1905 die Arbeiterklasse Rußlands auf allen Arbeitsgebieten, in Stadt und Land, nicht weniger als 10 Millionen Seelen, was zusammen mit den Familien über 25 Millionen ausmachte, das heißt mehr als die Gesamtbevölkerung Frankreichs in der Epoche der Großen Revolution. Von den gesicherten Handwerkern und unabhängigen Bauern der Cromwellschen Armee - über die Sansculotten von Paris - bis zu den Industrieproletariern Petersburgs hatte die Revolution ihre soziale Mechanik, ihre Methoden und damit auch ihre Ziele tiefgehend verändert.
    Die Ereignisse des Jahres 1905 waren ein Prolog der beiden Revolutionen von 1917: der Februar- und der Oktoberrevolution. Der Prolog enthielt alle Elemente des Dramas, nur nicht bis ans Ende geführt. Der Russisch-Japanische Krieg hatte den Zarismus gelockert. Auf dem Hintergrunde der Massenbewegung jagte die liberale Bourgeoisie durch ihre Opposition der Monarchie Angst ein. Die Arbeiter organisierten sich unabhängig von der Bourgeoisie und im Gegensatz zu ihr in den Sowjets, die damals zum ersten Male ins Leben gerufen wurden. Unter der Parole: Boden! erhob sich die Bauernschaft der ganzen riesigen Fläche des Landes. Wie die Bauern, neigten auch die revolutionären Truppenteile zu den Sowjets, die im Augenblick des höchsten Aufstieges der Revolution der Monarchie die Macht offen streitig machten. Das war das erste Auftreten sämtlicher revolutionärer Kräfte; sie besaßen noch keine Erfahrung, und es mangelte ihnen an Zuversicht. Die Liberalen prallten demonstrativ gerade in dem Augenblick vor der Revolution zurück, als sich herausstellte, daß es nicht genügte, den Zarismus zu lockern, daß man ihn außerdem noch umwerfen müsse. Der jähe Bruch der Bourgeoisie mit dem Volke, wobei sie schon damals bedeutende Kreise der demokratischen Intelligenz mit sich riß, erleichterte der Monarchie, die Armee zu spalten, treue Truppenteile auszusondern und über Arbeiter und Bauern blutiges Gericht zu halten. Wenn er auch manche Rippe einbüßte, ging der Zarismus aus der Prüfung von 1905 doch lebend und kräftig genug hervor.
    Welche Veränderung der Kräfteverhältnisse brachte die historische Entwicklung in den elf Jahren, die den Prolog vom Drama trennen? Der Zarismus geriet während dieser Periode in einen noch größeren Gegensatz zu den Forderungen der historischen Entwicklung. Die Bourgeoisie wurde ökonomisch mächtiger, doch stützte sich diese Macht, wie wir gesehen haben, auf die höhere Konzentration der Industrie und die gesteigerte Rolle des Auslandskapitals. Unter der Wirkung der Lehren von 1905 war die Bourgeoisie noch konservativer und mißtrauischer geworden. Das spezifische Gewicht der Klein- und Mittelbourgeoisie, schon früher unbeträchtlich, sank noch tiefer. Die demokratische Intelligenz besaß überhaupt keine irgendwie widerstandsfähige soziale Stütze. Sie konnte vorübergehend politischen Einfluß g3-winnen, aber keine selbständige Rolle spielen. Ihre Abhängigkeit vom bürgerlichen Liberalismus war ungemein gewachsen. Programm, Banner und Führung konnte der Bauernschaft unter diesen Umständen nur das junge Proletariat bieten. Die vor ihr auf diese Weise erstandenen grandiosen Aufgaben erzeugten ein unaufschiebbares Bedürfnis nach einer besonderen revolutionären Organisation, die die Volksmassen auf einmal erfassen und unter Führung der Arbeiterschaft zu revolutionärer Tat zu befähigen vermochte. So erhielten die Sowjets von 1905 gigantische Entfaltung im Jahre 1917. Daß die Sowjets - wir wollen es hier gleich sagen - nicht einfach eine Ausgeburt der historischen Verspätung Rußlands, sondern vielmehr ein Produkt der kombinierten Entwicklung darstellen, beweist allein schon die Tatsache, daß das Proletariat des industriellsten Landes, Deutschlands, während des revolutionären Aufstieges von
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