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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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dienende Rolle gespielt. Die Kirche erhob sich in Rußland niemals zu jener Kommandohöhe wie im katholischen Westen: sie begnügte sich mit der Stellung eines geistlichen Knechtes beim Selbstherrschertum und rechnete sich dies als Verdienst ihrer Demut an. Bischöfe und Metropoliten besaßen Macht nur als Bevollmächtigte der weltlichen Gewalt. Die Patriarchen wechselten zusammen mit den Zaren. In der Petersburger Periode wurde die Abhängigkeit der Kirche vom Staate noch sklavischer. Zweihunderttausend Priester und Mönche bildeten im wesentlichen einen Teil der Bürokratie, eine Art Glaubenspolizei. Als Gegenleistung wurden das Monopol der orthodoxen Geistlichkeit in Glaubensangelegenheiten, ihre Länder und Einkünfte von der allgemeinen Ordnungspolizei beschirmt.
    Das Slawophilentum, dieser Messianismus der Rückständigkeit, begründete seine Philosophie damit, daß das russische Volk und dessen Kirche durch und durch demokratisch, das offizielle Rußland aber eine von Peter angepflanzte deutsche Bürokratie sei. Marx sagte dazu: "Ganz wie die teutonischen Esel den Despotismus Friedrichs II. usw. auf die Franzosen wälzen, als wenn zurückgebliebene Knechte nicht immer zivilisierte Knechte brauchten, um dressiert zu werden." Diese kurze Bemerkung erschöpft restlos nicht nur die alte Philosophie der Slawophilen, sondern auch die neuesten Offenbarungen der "Rassentümler".
    Die Kargheit nicht nur des russischen Feudalismus, sondern auch der ganzen altrussischen Geschichte fand ihren traurigsten Ausdruck im Mangel echt mittelalterlicher Städte als Handwerks- und Handelszentren. Das Handwerk hatte in Rußland keine Zeit gehabt, sich vom Ackerbau zu trennen, bewahrte vielmehr den Charakter der Heimarbeit, Die ä-trussischen Städte waren Handels-, Verwaltungs-, Heeres- und Adels-Zentren, folglich konsumierend, nicht produzierend. Sogar die der Mama verwandte Stadt Nowgorod, die das tatarische Joch nicht gekannt hatte, war nur eine Handels-, keine Gewerbestadt. Allerdings schuf die Verstreutheit der bäuerlichen Gewerbe in verschiedenen Bezirken das Bedürfnis nach einer Handelsvermittlung breiten Maßstabes. Doch vermochten die nomadischen Händler im öffentlichen Leben in keinem Falle jenen Platz einzunehmen, der im Westen der handwerklich-zünftigen und handelsgewerblichen Klein- und Mittelbourgeoisie zukam, die mit ihrer bäuerlichen Peripherie unzertrennlich verbunden waren. Die Hauptwege des russischen Handels führten überdies ins Ausland, sicherten die leitende Stellung seit alters her dem ausländischen Handelskapital und verliehen dem ganzen Umsatz, bei dem der russische Händler Mittler zwischen der westlichen Stadt und dem russischen Dorfe war, einen halb kolonialen Charakter. Diese Art ökonomischer Beziehung erfuhr eine weitere Entwicklung in der Epoche des russischen Kapitalismus und erreichte ihren höchsten Ausdruck im imperialistischen Kriege.
    Die Bedeutungslosigkeit der russischen Städte, die zur Entstehung des asiatischen Staatstypus am meisten beigetragen hat, schloß insbesondere die Möglichkeit der Reformation aus, das heißt der Ablösung der feudal-bürokratischen Orthodoxie durch irgendeine modernisierte Abart eines den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft angepaßten Christentums. Der Kampf gegen die Staatskirche ging nicht über die bäuerlichen Sekten, einschließlich der mächtigsten von ihnen, das altgläubige Schisma, hinaus.
    Anderthalb Jahrzehnte vor der großen Französischen Revolution entbrannte in Rußland die Bewegung der Kosaken, Bauern und leibeigenen Uraler Arbeiter, die nach dem Namen ihres Führers Pugatschow benannt wurde. Was hatte diesem grimmigen Volksaufstande gefehlt, um sich in eine Revolution zu verwandeln? Der dritte Stand. Ohne die Handwerkerdemokratie der Städte vermochte sich der Bauernkrieg ebensowenig zu einer Revolution entwickeln, wie sich die Bauernsekten zu einer Reformation erheben konnten. Im Gegenteil, die Folge der Pugatschowschtschina war die Befestigung des bürokratischen Absolutismus, als des in schwierigen Stunden wieder bewährten Hüters der Adelsinteressen.
    Die unter Peter formell begonnene Europäisierung des Landes wurde im Verlaufe des nächsten Jahrhunderts immer mehr zum Bedürfnis der herrschenden Klasse selbst, das heißt des Adels. Im Jahre 1825 griff die Adelsintelligenz, dieses Bedürfnis politisch verallgemeinernd, zur Militärverschwörung, mit dem Ziel der Einschränkung des Selbstherr-schertums. Unter dem Druck
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