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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6
Autoren: Arkady Strugatsky
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dort?«
    »Und was wollen Sie hier?«, parierte Golem.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Diana. »Ich habe doch jetzt niemanden mehr außer ihm.«
    »Gut«, meinte Golem. »Aber er weiß nicht, was los ist. Sie schon …«
    »Aber er muss es sich doch ansehen«, widersprach Diana. »Er kann doch nicht wegfahren, ohne es sich angesehen zu haben …«
    »Genau«, stimmte Viktor zu. »Wer, zum Teufel, braucht mich noch, wenn ich es mir nicht angesehen habe? Das ist doch mein Brot.«
    »Hört zu, Kinder«, seufzte Golem. »Ist euch klar, auf was ihr euch da einlasst? Viktor, ich habe Ihnen immer wieder gesagt: Wenn Sie etwas ausrichten wollen, müssen Sie sich selbst treu bleiben. Sich selbst!«
    »Ich bleibe mir immer treu«, versetzte Viktor.
    »Das wird aber hier nicht gehen.«
    »Wir werden ja sehen.«
    »Mein Gott«, echauffierte sich Golem, »als ob ich nicht auch gerne bleiben würde. Aber man muss doch, verflixt noch mal, auch seinen Kopf gebrauchen, und zwischen Wollen und Müssen unterscheiden.« Er schien sich selbst überzeugen zu wollen. »Na, dann bleibt eben hier. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.« Golem legte den Gang ein. »Wo ist das Heft, Diana? Ach, da ist es ja. Ich nehme es dann also an mich. Sie können damit nichts mehr anfangen.«
    »So ist es«, stimmte Diana zu. »Er hat es so gewollt.«
    »Golem«, begann Viktor. »Warum reißen Sie aus? Sie woll ten doch diese Welt.«
    »Ich reiße nicht aus«, erwiderte Golem streng. »Ich fahre woandershin. Von einem Ort, an dem ich nicht mehr gebraucht werde, zu einem, an dem man mich noch braucht. Im Gegensatz zu Ihnen. Leben Sie wohl.«
    Er fuhr ab. Diana und Viktor fassten sich bei den Händen und gingen die Allee des Herrn Präsidenten entlang in die leere Stadt, den vorrückenden Siegern entgegen. Sie sprachen nicht, sie atmeten nur die ungewohnt klare, frische Luft in vollen Zügen ein, blinzelten in die Sonne und hatten vor nichts Angst. Die Stadt starrte sie mit leeren Fenstern an. Eine merkwürdige Stadt: verschimmelt, glitschig, morsch, wie von einem bösartigen Ekzem zerfressen, als hätte sie jahrelang auf dem Meeresgrund gelegen und wäre nun, der Sonne zum Gespött, emporgetaucht, und die Sonne schicke sich lachend an, sie zu zerstören.
    Die Dächer schmolzen dahin, das rostige Blech und die Dachziegel verdampften. In den Mauern klafften Risse, die sich ausweiteten und den Blicken schäbige Tapeten freigaben, auseinanderfallende Betten, wacklige Möbel und verblichene Fotografien. Die Straßenlaternen sanken kraftlos um, Kioske und Anschlagsäulen lösten sich in Luft auf – alles ringsum knisterte, zischte und raschelte, wurde porös und durchsichtig, verwandelte sich in ein Häufchen Staub und verschwand. Die Umrisse des Rathausturms verschwammen in der Ferne und verschmolzen mit dem blauen Himmel. Eine Zeit lang hing noch, losgelöst von allem, die alte Turmuhr am Himmel, bis auch sie verschwand …
    Meine Manuskripte sind auch dahin, dachte Viktor fröhlich. Von der Straße war schon nichts mehr zu sehen – nur hier und da ragte noch ein welker Strauch oder ein kranker Baum auf, und grüne Grasflecken breiteten sich aus. Nur im fernen Dunst ahnte man noch ein paar Gebäude oder ihre gespenstischen Überreste, und neben der früheren Fahrbahn, auf einer steinernen, ins Nichts führenden Freitreppe, saß Teddy, das kranke Bein von sich gestreckt, und die Krücken neben sich.
    »Hallo, Teddy«, begrüßte ihn Viktor. »Du bist hiergeblieben?«
    »Ja«, antwortete er.
    »Und warum?«
    »Der Teufel soll sie alle holen«, ärgerte sich Teddy. »Alles haben sie bis zum Anschlag vollgestopft, nirgendwo konnte ich mein Bein ausstrecken. Ich sage zu meiner Schwieger tochter: ›Was willst du dumme Gans denn mit der Anrichte?‹ Da beschimpft sie mich mit Ausdrücken – da habe ich auf alles gepfiffen und bin hiergeblieben.«
    »Kommst du mit uns?«
    »Nein, nein, geht nur. Ich bin im Moment nicht gut zu Fuß, und seinem Schicksal entgeht man ja doch nicht …«
    Sie gingen weiter. Langsam wurde es heiß, und Viktor warf den unnützen Regenmantel fort, schüttelte die rostigen Überreste der MPi ab und lachte erleichtert auf. Diana küsste ihn und sagte: »Wie schön!« Er widersprach nicht. Sie gingen und gingen unter dem blauen Himmel, in der heißen Sonne, über die Erde, aus der schon junges grünes Gras spross, und gelangten zu der Stelle, an der einmal das Hotel gestanden hatte. Das Hotel war noch nicht restlos verschwun den, es
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