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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6
Autoren: Arkady Strugatsky
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zusammen und schlief auf der Stelle ein. Der unangenehm nüchterne Quadriga fing wieder an zu quengeln, dass sie wegmüssten, so schnell wie möglich. »Der Mann weiß Bescheid«, sagte er und zielte mit der Gabel auf den schlafenden Soldaten. »Der weiß, was los ist. Du aber, Banew, bist ein Holzkopf, ein unverbesserlicher Holzkopf. Dass du so gefühllos bist! Ich nehme diesen Druck aus dem Norden sogar physisch wahr. Glaub mir. Ich weiß ja, dass du mir nicht traust, aber diesmal kannst du mir glauben. Ich versuche euch ja schon lange klarzumachen, dass wir hier wegmüssen. Aber Golem, diese Schnapsnase, hat dir völlig den Kopf verdreht. Begreif doch, jetzt sind die Straßen noch frei, alle warten aufs Morgengrauen, dann aber sind alle Brücken verstopft wie damals, 1940. Du bist ein sturer Bock, Banew, aber so warst du schon immer, schon im Gymnasium warst du so.«
    Viktor sagte ihm, er solle jetzt schlafen oder sich zum Teufel scheren. Quadriga spielte die beleidigte Leberwurst, aß die letzte Konserve auf, legte sich auf die Couch und wickelte sich in eine Mohairdecke. Eine Weile wälzte er sich noch ächzend hin und her, stieß apokalyptische Prophezeiungen aus und verstummte schließlich. Es war vier Uhr.
    Um 4.10 Uhr ging das Licht nach einem kurzen Flackern endgültig aus. Viktor machte es sich in einem Sessel bequem, deckte sich mit umherliegenden trockenen Sachen zu, lag ganz still, blickte zum dunklen Fenster hinüber und horchte. Der Soldat stöhnte im Schlaf, der von den ungewohnten Strapazen äußerst mitgenommene Doktor honoris causa schnarchte leise. Von irgendwo – wahrscheinlich von der Raststätte – drangen Motorengeheul und Stimmen herüber. Viktor versuchte zu begreifen, was geschehen sein mochte, und gelangte zu dem Schluss, dass sich die Nässlinge wohl mit General Pferd zerstritten, ihn aus dem Leprosorium geworfen und ihre Residenz in die Stadt verlegt hatten. Und nun, da sie Wein in Wasser verwandeln und die Leute in Angst und Schrecken versetzen konnten, bildeten sie sich ein, sie würden auch einer modernen Armee, ja sogar einer modernen Polizei widerstehen können. Diese Idioten. Sie legen die Stadt in Trümmer, gehen selbst dabei drauf und berauben die Menschen ihrer Bleibe. Und die Kinder … Sie stürzen die Kinder ins Verderben, diese Schweine! Und wozu das Ganze? Geht’s mal wieder um die Macht? Und so etwas wollen Übermenschen sein. Von wegen – klug und begabt. Die sind keinen Deut besser als wir. Wieder eine neue Ordnung. Aber je neuer die Ordnung, umso schlimmer ist sie – das kennt man schon. Irma … Diana … Er fuhr auf, tastete im Dunkeln nach dem Telefon und nahm den Hörer ab. Das Telefon schwieg. Da zanken sich wieder mal zwei um die Beute, und wir, die wir weder die einen noch die anderen brauchen, sondern unsere Ruhe haben wollen, müssen wieder los, einander mit Füßen treten, fliehen und uns in Sicherheit bringen, oder uns, was noch schlimmer ist, für eine Seite entscheiden, ohne zu begreifen oder zu wissen, worum es dabei geht, einer der beiden Seiten aufs Wort glauben oder nicht aufs Wort – aber auf was dann?, müssen aufeinander schießen und uns gegenseitig an die Kehle gehen.
    Ich denke in ausgefahrenen Gleisen, dachte Viktor, tausendmal habe ich schon so gedacht. So hat man es uns von klein auf beigebracht. Entweder: hurra, oder: zum Teufel mit euch! Ich glaube keinem mehr. Sie sind nicht fähig zu denken, Herr Banew, das ist es. Und darum vereinfachen Sie alles. Wenn Sie einen komplizierten gesellschaftlichen Prozess beobachten, wollen Sie ihn vereinfachen. Entweder durch Glauben oder durch Unglauben. Aber wenn Sie einmal glauben, dann ohne Wenn und Aber, mit hündischer Ergebenheit. Glauben Sie dagegen nicht, spucken Sie Gift und Galle und ziehen alle Ideale in den Dreck – die falschen und die echten.Perry Mason pflegte zu sagen: Indizien an sich sind nicht schlimm, schlimm ist nur ihre falsche Interpretation. Und genauso ist es in der Politik. Da legt jeder Gauner alles so aus, wie es für ihn am vorteilhaftesten ist, und wir Einfaltspinsel übernehmen ihre Interpretation, weil wir selbst weder denken können noch wollen. Und wenn ein Einfaltspinsel wie Banew, der in seinem Leben außer politischen Gaunereien noch nichts gesehen hat, plötzlich selbst anfängt zu interpretieren, setzt er sich in die Nesseln, weil er nichts versteht und nie gelernt hat, richtig zu denken. Und weil er natürlich nur die Sprache der Gauner kennt. Neue Welt, alte
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