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Gesammelte Werke 6

Gesammelte Werke 6

Titel: Gesammelte Werke 6
Autoren: Arkady Strugatsky
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willst du mit meinen Hosen?«, wollte Viktor wissen. »Bist du ein Deserteur?«
    Der Soldat schniefte. Es war der sympathische kleine Soldat mit den Sommersprossen.
    »Warum sagst du nichts?«
    Der Soldat wimmerte und schluchzte.
    »Jetzt werde ich bestimmt …«, murmelte er. »Ich werde bestimmt erschossen. Ich habe meinen Posten verlassen und bin abgehauen. Wo soll ich denn jetzt hin? Lassen Sie mich gehen, gnädiger Herr, ja? Ich hab’s doch nicht böse gemeint, ich bin kein Mörder. Sie werden mich doch nicht verraten?«
    Er gluckste, schniefte und wischte sich im Dunkeln wohl die Nase am Uniformärmel ab. Er war ein erbärmliches Häufchen Elend und hatte, wie alle Deserteure, Angst; daher war er zu allem fähig.
    »Gut«, sagte Viktor. »Du kommst mit. Wir verraten dich nicht. Und zum Anziehen findet sich auch etwas. Komm, verlier nicht den Anschluss.«
    Er ging vorneweg, und der Soldat trottete, noch immer schluchzend, hinter ihm her.
    Quadriga fanden sie, indem sie dem Heulen nachgingen. Jetzt hing die MPi an Viktors Hals, an seinen linken Arm klammerte sich krampfhaft der schluchzende Soldat und an seinen rechten der leise winselnde Quadriga. Ein Albtraum. Natürlich hätte er dem Bengel die entladene MPi in die Hand drücken und ihm einen Fußtritt verpassen können. Aber die Rotznase tat ihm leid, und die MPi konnten sie vielleicht noch gebrauchen. Wir haben uns mit dem Volk beraten, und es gibt die Meinung, dass es verfrüht wäre, die Waffen niederzulegen. Die MPi kann uns in den bevorstehenden Kämpfen noch von Nutzen sein …
    »Hört auf zu heulen, alle beide«, befahl Viktor. »Sonst krie gen wir noch eine Patrouille an den Hals.«
    Es wurde still, und fünf Minuten später, als vorn die matten Lichter der Raststätte aufleuchteten, zog Quadriga Viktor nach rechts und murmelte erfreut: »Gott sei’s gedankt, wir sind da.«
    Den Schlüssel zur Gartentür hatte Quadriga natürlich in seiner Hosentasche im Hotel gelassen. So kletterten sie flu chend über den Zaun, irrten im nassen Fliedergestrüpp umher, wären fast in den Springbrunnen gefallen, arbeiteten sich endlich zum Eingang durch, schlugen die Tür ein und stürmten ins Haus. Der Schalter klickte, und ein rötliches Halbdunkel hüllte sie ein. Viktor ließ sich in einen Sessel fallen. Während Quadriga auf der Suche nach Handtüchern und trockenen Sachen durchs Haus lief, zog sich der Soldat hastig bis auf die Unterwäsche aus, rollte seine Uniform zusammen und schob sie unter die Couch. Erst jetzt beruhigte er sich ein wenig und hörte auf zu schluchzen. Quadriga kam mit den Handtüchern zurück; dann rieben sie sich lange und hartnäckig trocken und zogen sich um.
    Im Haus herrschte Chaos. Alles war umgekippt, durcheinandergeworfen und beschmiert. Bücher, staubige Lappen und Leinwandrollen lagen kreuz und quer durcheinander. Unter den Füßen knirschte Glas, ausgedrückte Farbtuben lagen umher, im Fernseher klaffte ein rechteckiges Loch, und auf dem Tisch standen schmutzige Teller mit verschimmelten Speiseresten. Nur in den Ecken schien nichts zu liegen, aber vielleicht war dort wegen der Dunkelheit auch nichts zu erkennen. Im Haus herrschte ein Gestank, dass Viktor es nicht länger aushielt und das Fenster aufriss.
    Quadriga begann aufzuräumen: Er griff an den Tisch, hob ihn an einer Seite hoch und kippte das Geschirr auf den Fußboden. Dann wischte er den Tisch mit seinem nassen Bademantel ab, verschwand und kehrte mit drei wunderschönen alten Kristallgläsern und zwei quadratischen Flaschen zu rück. Vor Ungeduld auf den Zehenspitzen wippend, entkorkte er die Flaschen und füllte die Gläser.
    »Zum Wohl«, murmelte er undeutlich, packte sein Glas, schloss vor Behagen die Augen und trank gierig.
    Viktor betrachtete ihn mit einem nachsichtigen Lächeln und knetete an einer feuchten Zigarette. Auf Quadrigas Gesicht waren plötzlich Staunen und Enttäuschung zu lesen.
    »Hier auch«, sagte er angewidert.
    »Was ist los?«, erkundigte sich Viktor.
    »Wasser«, verkündete der Soldat schüchtern. »Nichts als kaltes Wasser.«
    Viktor nippte an seinem Glas. Ja, das war Wasser, klares, kaltes, vielleicht sogar destilliertes Wasser.
    »Womit bewirtest du uns da, Quadriga?«, fragte er.
    Ohne ein Wort zu sagen, ergriff Quadriga die zweite Flasche und nahm einen Schluck. Sein Gesicht verzerrte sich. Er spuckte aus und sagte: »Mein Gott!«, duckte sich und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer. Der Soldat schluchzte wieder auf. Viktor sah sich
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