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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat
Autoren: André Theuriet
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Traurigkeit entgingen dem Abbé Volland nicht, der nachmittags nach Salvanches kam. Der Geistliche hatte Georgine von ihrer Kindheit an gekannt und behandelte sie noch wie ein kleines Mädchen. Er war ein guter Beobachter und wunderte sich über die Veränderung, die mit diesem für gewöhnlich so blühenden und harmlosen Gesicht vorgegangen war. Er glaubte, Georgine gräme sich über die nicht zustande gekommene Heirat mit Gérard und vermutete, daß diese Enttäuschung sie mehr betrübe, als sie sagen wolle, und er beschloß deshalb, sich mit dem jungen Mädchen darüber auszusprechen. Als er sich von Frau Grandfief verabschiedete, sagte er zu Georginen: »Höre, ich habe mit dir über die Altardecke zu reden, welche die jungen Mädchen von der Rosenkranzkongregation für die Kapelle der heiligen Jungfrau sticken. Besuche mich morgen nach der Neunuhrmesse im Pfarrhaus.«
    Fräulein Grandfiefs Angst wurde durch diese Einladung noch mehr gesteigert. Ohne Zweifel wußte der Geistliche schon von dem Ereignis, und sie bebte bei dem Gedanken an ein Verhör, dem er sie unterziehen könnte. Am anderen Morgen, nach einer schlechten Nacht, ergriff sie zitternd denschweren Thürklopfer am Pfarrhaus. Der Geistliche war eben nach Hause gekommen und ging in Erwartung des jungen Mädchens in seinem Studierzimmer auf und ab. Sobald er sie erblickte, schickte er seine alte Haushälterin hinaus, rückte mit der Gewandtheit eines Untersuchungsrichters seinen Lehnsessel gegen das Fenster, damit das volle Licht auf seine Besucherin falle, dann faßte er Georginen bei der Hand, ließ sie sich ihm gegenüber setzen und begann:
    »Nun, mein liebes Kind, was gibt es Neues in Salvanches?«
    »Nichts, Herr Pfarrer, Mama ist mit der Wäsche beschäftigt und Papa ist auf der Jagd.«
    »Und du, was treibst du? Man sollte meinen, du langweilest dich, dein Gesicht wird schmal.«
    Georgine zitterte und wurde noch blässer.
    »Ich?« antwortete sie und schlug die Augen unter den Blicken des Geistlichen nieder; »aber ich habe gar nichts, ich versichere Sie.«
    »Warum hast du denn ein so verstörtes Gesicht?...«
    Der Abbé Volland betrachtete sie aufs neue über seine Brille hinweg und bemerkte, daß sie die Fassung verlor. »Ich sage dir,« fuhr er fort, »du hast dich sehr verändert und man macht nicht ohne Grund ein solches Gesicht. Komm, Kind, mache keine Winkelzüge, sondern erzähle mir deine kleinen Sorgen; du weißt ja, daß ich nicht streng bin wie deine Mutter, und daß du Vertrauen zu mir haben kannst.«
    »Ach Herr Pfarrer,« rief Georgine, krampfhaft die Hände ringend, mit noch immer niedergeschlagenen Augen, »ich kann es nie wagen!«
    »Ist es denn so was Bedeutendes?« fragte der Abbé mit ermutigendem Lächeln.
    »Es ist mir nicht möglich, es zu sagen,« flüsterte Georgine; dann stotterte sie zitternd, von den Schrecken und Gewissensbissen, die sie fast erstickten, getrieben: »Herr Pfarrer, ich habe einen Fehltritt begangen!«
    »Einen Fehltritt?« wiederholte der etwas verwirrte Abbé. Er betrachtete das fassungslose Gesicht Georginens und fuhr ernster fort: »Willst du, daß ich deine Beichte höre?«
    »Ach,« erwiderte sie mit tragischem Ausdruck, »das ist unnötig... denn ich muß meiner Mutter doch gestehen, in welcher Lage ich bin.«
    Der Geistliche fuhr auf und stieß seinen Lehnsessel zurück. »Um was handelt es sich denn, und was hast du gethan?«
    »Ich glaube,« stöhnte das arme Kind, »ich fürchte, ich... daß ich bin... wie Helene Laheyrard.«
    Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Der Abbé Volland sprang verblüfft auf. »Na,« brummte er, »was faselst du da? Hast du denn den Verstand verloren?... Komm, mein Kind, erkläre dich deutlicher und mit voller Offenheit... Was ist geschehen?... Fehler von der Art, wie der, auf den du anspielst, begeht man nicht durch den Gedanken... Man sündigt auf diese Weise nicht... nicht ganz allein.«
    Der Geistliche wischte sich die Stirne ab, denn dieses kitzliche Verhör preßte ihm dicke Schweißtropfen aus.
    »Ich war auch nicht allein,« antwortete Georgine; dann zerfloß sie in Thronen und wurde plötzlich mitteilsamer: »Ach, Herr Pfarrer, ich bin verloren!«
    »Heilige Jungfrau!« rief der Pfarrer aus und schlug die Hände zusammen, »wer ist der Taugenichts, der verbrecherisch genug ist?...«
    »Herr Marius Laheyrard.«
    »Marius!... Auch das noch!... Es muß ein besonderes Verhängnis über dieser Familie walten!... Komm, unglückliches Kind, sage mir alles;
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