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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat
Autoren: André Theuriet
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drei Stunden, nachdem er fast all sein Blut verloren hatte und weißer aussah als sein Betttuch, wurde der Chevalier ohnmächtig und hatte nur eben noch Zeit, um Hilfe zu rufen. Der in der Eile herbeigerufene und von der Heldenthat seines Patienten unterrichtete Arzt erhob ein Zetergeschrei: »Nun sind Sie in einem schönen Zustand!« zürnte er, »nun haben Sie genug für vierzehn Tage ... Man ist nicht ungestraft so furchtbar dumm!«
    Zu anderer Zeit hätte Herr von Seigneulles die Unverschämtheit dieses ländlichen Aeskulap derb gerügt, aber jetzt war er nicht einmal kräftig genug, um böse zu werden. Er begnügte sich damit, traurig aufzuseufzen, und vergrub sich verzweifelnd in seine Decken.

Achtzehntes Kapitel.
    Während Gérards Vater sich in dem Wirtshause in Blesmes in Ungeduld verzehrte, dachte Marius Laheyrard in Juvigny immer eifriger darüber nach, wie er sich an Frau Grandfief rächen konnte. Der unduldsame Dünkel dieser widerwärtigen Person, die sich zum obersten Sittenrichter in der Stadt auswarf, hatte Marius stets geärgert; er konnte ihr aber hauptsächlich den Ueberfall im Höllengrund und Helenens Abreise nicht verzeihen. Jeden Morgen, beim Erwachen, schwur er, die Stadt nicht zu verlassen, ohne den Hochmut dieser Dame gedemütigt zu haben. Um ihr unangenehm zu werden, begann er unterdessen, ihrer Tochter Georgine den Hof zu machen.
    Seit dem Ball in Salvanches, wo Fräulein Grandfief eines seiner eigenartigen Sonette angenommen hatte, war es von Marius nicht unbemerkt geblieben, daß ihn die duckmäuserische kleine Person mit sehr günstigen Augen betrachtete. Ich weiß nicht, ob sie die feurigen vierzeiligen und die sonderbaren dreizeiligen Strophen des Dichters hinreichend zu schätzen wußte, aber ein junges Mädchen empfängt Gedichte, zu denen sie begeistert zu haben glaubt, stets mit großer Freude. Georgine hatte die Reime des jungen Laheyrard aufs sorgfältigste verschlossen und las sie im geheimen immer wieder, ohne gerade viel davon zu verstehen.
    Der fröhliche Marius war aber auch gerade ein Liebhaber, wie er dieser Unschuld gefallen mußte.
    Ein unermüdlicher Tänzer und Lebemann, mit blühendem Antlitz und dichtem, starkem Bart, mit kühnem Auge und gewandter Zunge, schien er Georginen ein eigentümlich verführerisches, unwiderstehliches Wesen zu sein. Von jeher haben wohlerzogene Mädchen einen besonderen Geschmack für Taugenichtse gehabt, und Fräulein Grandfief fand die Liebedes Dichters so schmackhaft wie eine verbotene Frucht. Sie begegnete Marius bei jedem Ausgang, und seit einiger Zeit fehlte er auch nie beim Hochamt in Sankt Stephan, wo er, in der Nähe ihres Platzes stehend, ihr feurige Liebesblicke zuwarf und sie dadurch in zwar strafbare, aber köstliche Zerstreuung stürzte. Sie empfand bei den kühnen Angriffen des jungen Mannes einen leichten Schauder, der aber den Reiz dieser heimlichen Huldigungen nur noch vermehrte. Seit jenem berühmten Frühstück hatte Marius keinen Fuß mehr in das Grandfiefsche Haus gesetzt; wenn aber Georgine an Mondscheinabenden in ihrem Fenster lag, sah sie ihn um die Einfriedigung von Salvanches herumschleichen, und sie sah ihn schon im Geist die Mauern erklettern und eine Strickleiter an ihrem Altane befestigen. Dann legte sie sich in kindischen Aengsten zu Bett, träumte von ihrem Verehrer und erhob sich ab und zu wieder, um mit bloßen Füßen zum Fenster zu laufen und zu sehen, ob er noch da sei und vielleicht unter einer der Platanen des nächtlich einsamen Spazierweges stehe ... Nach und nach fand Marius selbst Geschmack an dieser Liebelei, die er aus Prahlerei begonnen und in der Hoffnung, Frau Grandfief dadurch zu ärgern, fortgesetzt hatte. Die appetitliche Schönheit der niedlichen Kleinstädterin mit den blühenden, pfirsichfarbenen Wangen, den heuchlerisch gesenkten schwarzen Augen, den vollen, roten Lippen hatte manches, was diesen kräftigen jungen Mann, dessen Lebenslust erstaunlich von seinen düsteren, sehnsuchtsvollen Dichtungen abstach, anziehen konnte. Fast unmerklich erwärmte sich seine Einbildungskraft und sein erst so ruhiges Herz fühlte sich auch ergriffen; kurz, was zu Anfang ein Spiel gewesen war, wurde zum Schluß zwar keine große Leidenschaft – Marius war einer solchen nicht fähig –, aber eine sehr lebhafte und hinreichend ernste Neigung.
    Die Zeit der Weinlese war gekommen. Das ist der Zeitpunkt, wo die Umgegend von Juvigny, die für gewöhnlich zu grau oder zu grün ist, plötzlich Farbentöne
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