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Gérards Heirat

Titel: Gérards Heirat
Autoren: André Theuriet
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schämen.«
    »Nun, Frau Grandfief,« entgegnete der Abbé, »wer sagt Ihnen denn, daß Helene schuldig ist? Was Sie soeben erfahren haben, müßte Sie doch ein wenig vorsichtiger stimmen. Georgine ist unschuldig und doch können morgen dieselben abgeschmackten Verleumdungen über sie verbreitet sein... Folgen Sie mir, lassen Sie brennen, was nicht zu retten ist, und schlagen Sie alles durch eine Heirat nieder.«
    »Eher sperre ich meine Tochter in ein Kloster,« antwortete die unbeugsame Dame, deren ganzer Zorn sich nun gegen Georgine richtete, »sie ist ein entartetes Kind, und ich will sie strafen.«
    »Sie ist durch die ausgestandene Angst genug bestraft,« warf der Abbé ein, »das beste wäre, einen Skandal zu vermeiden und als kluge Mutter zu handeln...«
    »Eine solche Heirat eingehen, wahrend meine Tochter schon glänzende Anträge abgelehnt hat!... Nein es ist unmöglich!«
    »Nun,« sagte der Abbé, während er seinen Hut nahm und sich zum Abschied verbeugte, »überlegen Sie noch einmal, erwägen Sie das Für und Gegen reiflich... Ich werde morgen wiederkommen und nach Ihnen sehen.«

Neunzehntes Kapitel.
    Während sich dies in Salvanches ereignete, hatte sich Herr von Seigneulles nach und nach von den Folgen der so unüberlegt angesetzten vierzig Blutegel erholt. Sobald er wieder hergestellt war, fuhr er mit dem nächsten Zuge nach Paris wo er ohne weiteren Unfall bei sinkender Nacht ankam. Er stieg in einem altmodischen, stillen Hotel ab, in dem er schon unter der Restauration eingekehrt war.
    Am anderen Morgen machte er sich, in seinen langen Ueberzieher gehüllt, in weißer Halsbinde, seinen breitrandigen Hut auf dem Kopf, in feierlichem Schritte auf den Weg nach der Erziehungsanstalt, in die sich Helene Laheyrard geflüchtet hatte. Die Pension der Frau Le Mancel lag in jenem einsamen Teil der Rue de Vaugirard, die an den Boulevard Montparnasse grenzt. Der Chevalier war noch keine dreißig Schritte an den langen Gartenmauern dieses unbelebten Stadtteiles entlang gegangen, als er plötzlich mit den Zeichen einer großen Ueberraschung stehen blieb. Er hielt sich schützend die Hand vor die Augen, stieß einen kräftigen Fluch aus, und beobachtete einen früh aufgestandenen Spaziergänger, dessen Gesicht von dem aufgeschlagenen Rockkragen halb versteckt wurde, und der kein anderer war als Gérard. Der junge Mann betrachtete, an eine Mauer gelehnt, trübselig einen großen grün angestrichenen Thorweg, über dem zu lesen war: »Erziehungsanstalt von Frau Le Mancel. Gegründet 1838.« Hinter dem Thore in dem Hofe, der vor dem Hause lag, schüttelten zwei große Platanen ihre halbentlaubten Aeste, zwischen denen hindurch man ein großes Gebäude bemerkte, dessen Fenster geschlossen waren.
    »Zum Kuckuck! Junge,« rief der Chevalier und schüttelte den in seine Betrachtungen versunkenen Träumer kräftig bei der Schulter, »ich muß dich also immer da antreffen, wo du nicht sein solltest!«Gérard fuhr zusammen, als el Herrn von Seigneulles erkannte, gewann aber schnell seine Fassung wieder:
    »Vater...« begann er.
    »Was, zum Kuckuck, hast du hier zu thun?« fragte der Chevalier gebieterisch.
    »Mein Unrecht gut zu machen!«
    »Hast du dieses Fräulein wiedergesehen?«
    »Nein,« entgegnete Gérard kläglich, »während der ersten acht Tage meines Aufenthaltes hier war sie krank und ich konnte sie deshalb nicht sehen; jetzt, wo sie wieder hergestellt ist, verwehrt man mir den Zutritt!«
    »Und hat sehr recht damit; deine Beharrlichkeit ist hier nicht am Platz... Es ist an mir, Fräulein Laheyrard zu besuchen,« antwortete Herr von Seigneulles und ergriff den Klopfer an dem grünen Thore.
    »Erlaube mir, mit dir hineinzugehen,« flüsterte Gérard mit flehender Stimme.
    »Ganz gewiß nicht!«
    Die Thüre war schon halb geöffnet, da ergriff Gérard seinen Vater am Arm und bat:
    »Du wirst Helene sehen, Vater, sei gut gegen sie, stürze mich nicht in Verzweiflung!«
    »Alle Wetter! Willst du mir Anstandslehren geben?... Kümmere dich um deine Sachen und geh nach Hause!« Der Chevalier sprach genau so, als ob sie nicht sechzig Meilen von Juvigny entfernt gewesen wären. Nachdem er einen Augenblick gezögert hatte, fügte er hinzu: »Oder warte lieber hier auf mich!«
    Herr von Seigneulles trat in den Hof und die schwere Thüre siel wieder ins Schloß.
    Er hatte eine Karte bei sich, auf die er in seiner derben Handschrift die Worte geschrieben hatte: »Der Baron von Seigneulles wünscht eine Unterredung mit
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