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George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika

George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika

Titel: George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
Autoren: George Soros , Steve Clemons
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„Alchemie“ statt „Wissenschaft“ der Finanzmärkte, um den Unterschied zwischen meiner Interpretation und dem herrschenden Paradigma hervorzuheben. Die Volkswirte haben ihre Theorie nach dem Vorbild der Newton’schen Physik gestaltet und deshalb legen sie so viel Wert auf das Gleichgewicht. Ich behauptete, diese Analogie sei falsch. Newton befasste sich mit Phänomenen, die sich völlig unabhängig von dem äußern, was irgendjemand über sie denkt, während es Volkswirte mit Situationen zu tun haben, die denkende Teilnehmer beinhalten. Die Kausalkette verbindet hier nicht den einen Satz Fakten unmittelbar mit dem nächsten, sondern nur über das Eingreifen denkender und handelnder Subjekte. Es besteht eine Rückkopplungsschleife zwischen dem Bereich der Kausalität und dem Bereich der Kognition.
    Zwischen diesen beiden Arten von Phänomenen besteht ein tief greifender Unterschied. Die Physik ist für die Formulierung universell gültiger Verallgemeinerungen geeignet, die dann austauschbar sowohl für Vorhersagen als auch für Erklärungen verwendet werden können. Popper entwickelte ein auf schöne Art einfaches und elegantes Schema der wissenschaftlichen Methode und davon war ich außerordentlich beeindruckt. Es besteht aus drei Elementen und drei Operationen. Die drei Bestandteile sind die Anfangsbedingungen, die Schlussbedingungen und die universell gültigen Verallgemeinerungen oder wissenschaftlichen Gesetze. Die drei Operationen sind Vorhersage, Erklärung und Überprüfung. Wenn die Anfangsbedingungen mit wissenschaftlichen Gesetzen kombiniert werden, liefern sie Vorhersagen. Wenn die Schlussbedingungen mit wissenschaftlichen Gesetzen kombiniert werden, liefern sie Erklärungen. In diesem Sinne sind Vorhersagen und Erklärungen symmetrisch und umkehrbar (reversibel).
    Was an diesem Schema noch fehlt, ist die Bestätigung beziehungsweise Verifizierung der Gesetze. Und hier setzt Poppers besondere Erkenntnis an. Er behauptete, wissenschaftliche Gesetze könnten nicht bestätigt oder verifiziert werden, sondern nur widerlegt oder falsifiziert, und das erreicht man durch Prüfung. Allgemeine Aussagen über die universelle Gültigkeit kann man überprüfen, indem man die Anfangsbedingungen und die Schlussbedingungen in konkreten Fällen miteinander vergleicht. Wenn sie nicht dem wissenschaftlichen Gesetz genügen, das man darauf anwendet, ist dieses Gesetz widerlegt. Gesetze, die nicht widerlegt werden können, gelten nicht als wissenschaftlich. Schon ein einzelner abweichender Fall kann genügen, um die Gültigkeit einer allgemeinen Aussage zunichte zu machen, aber keine noch so große Anzahl passender Fälle reicht für eine über jeden Zweifel erhabene Verifizierung aus. In diesem Sinne besteht eine Asymmetrie zwischen Verifizierung und Falsifizierung. Die Symmetrie zwischen Vorhersage und Erklärung, die Asymmetrie zwischen Verifizierung und Falsifizierung sowie die entscheidende Rolle der Überprüfung sind die hervorstechenden Merkmale von Poppers Schema. Sie passen zu seiner Behauptung, unser Verständnis der Welt, in der wir leben, sei grundsätzlich und systembedingt unvollkommen – das ist das Gleiche wie mein Postulat der Fehlbarkeit.
    Popper bestand auf der von ihm so genannten Doktrin von der Einheitlichkeit der wissenschaftlichen Methode. In diesem Punkt weiche ich von ihm ab. Wie können für das Studium von Naturphänomenen und von menschlichen Angelegenheiten die gleichen Methoden und Kriterien gelten, wo es doch so grundlegende Unterschiede zwischen beiden gibt? Denkende Subjekte handeln auf der Grundlage eines unvollständigen Verständnisses und ihre Fehlbarkeit führt in die menschlichen Angelegenheiten ein Element der Ungewissheit ein, das bei Naturphänomenen nicht vorhanden ist. Diesen fundamentalen Unterschied muss man anerkennen. Er bedeutet nicht, dass die Naturwissenschaft verifizierbar perfekte Erkenntnisse liefern könnte, aber er bedeutet, dass es die Sozialwissenschaft mit einem zusätzlichen Element der Unsicherheit zu tun hat und dass sie ihre Methoden und Kriterien entsprechend anpassen muss. Die Interpretation der Finanzmärkte, die von Volkswirten entwickelt wurde, orientierte sich an der Newton’schen Physik. Um zu betonen, dass ich einen grundsätzlich anderen Ansatz verfolge, nannte ich mein Buch „Die Alchemie der Finanzen“.
    Als ich anfing, die Finanzmärkte als Labor zu benutzen, entwickelte ich eine Theorie der Finanzblasen, die auf den beiden Postulaten der
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