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George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika

George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika

Titel: George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
Autoren: George Soros , Steve Clemons
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Fehlbarkeit und der Reflexivität beruht. Ich behaupte, dass jede Blase aus zwei Zutaten besteht – aus einem Trend, der in der Wirklichkeit vorherrscht, und aus einer Fehlinterpretation dieses Trends oder einer Fehlauffassung, die sich auf ihn bezieht. Eine Blase ist ein Prozess aus Aufstieg und Zusammenbruch, der sich anfangs selbst verstärkt, sich dann aber selbst zerstört und dabei eine Abfolge klar definierter Stadien durchläuft. Die Abfolge ist vorherbestimmt, aber Ausmaß und Dauer jedes Stadiums sind es nicht. Ich kann diesen Prozess folgendermaßen zusammenfassen:
    Ein Trend kann durch eine technische Neuerung hervorgerufen werden oder rein finanzieller Natur sein. Anfangs bleibt er wahrscheinlich unbemerkt. (1) Wenn die Marktteilnehmer anfangen, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, stärkt ihr Interesse wahrscheinlich sowohl den Trend als auch seine Interpretation, die laut meiner Theorie mit einer Fehlauffassung verbunden ist. (2) Es kann sein, dass der Trend unterbrochen wird, was die Fehlauffassung bedroht. Wenn die Fehlauffassung diese Prüfung nicht übersteht, entwickelt sich die Blase nicht. Aber wenn die Fehlauffassung die Unterbrechung des Trends überlebt, werden sowohl der Trend als auch die Fehlauffassung weiter verstärkt. (3) Nach und nach entfernen sich die Wahrnehmungen der Teilnehmer so weit von der zugrunde liegenden Wirklichkeit, dass sie sich dieser Diskrepanz zunehmend bewusst werden. Irgendwann kommt der Moment der Wahrheit, in dem die Zweifler die Gläubigen überwiegen. (4) Es kann sein, dass sich der Trend in einer Phase der Unklarheit durch Trägheit noch eine Weile hält. (5) Doch selbst dann muss irgendwann der Punkt kommen, an dem der Trend kippt. (6) Dann verstärkt er sich dank des herrschenden Zweifels in der entgegengesetzten Richtung. (7) Da daran immer irgendeine Form von Kredit oder Fremdfinanzierung beteiligt ist, haben Blasen tendenziell eine asymmetrische Form: Sie schwellen langsam an, fallen dann steil zusammen und enden in einem Crash. (8) Nur die Abfolge der einzelnen Phasen ist festgelegt, sonst nichts. Größe und Dauer einer Blase sind unvorhersehbar und sie kann in jedem Stadium einbrechen. Nur gelegentlich wachsen Blasen zu ihrer vollen Größe heran.
    Warum das so ist, liegt auf der Hand. Es gibt zu jedem beliebigen Zeitpunkt Myriaden von Rückkopplungsschleifen, die allerdings alle in eine von zwei Kategorien fallen: positiv oder negativ. Eine positive Rückkopplung verstärkt die herrschenden Fehlauffassungen, während eine negative Rückkopplung sie korrigiert. Meistens kürzen sich die beiden Arten von Feedbackschleifen gegenseitig weg. Nur manchmal erzeugt eine positive Rückkopplungsschleife eine Blase, die groß genug ist, um die anderen Rückkopplungsschleifen zu überdecken. In den seltenen Fällen, in denen das eintritt, nimmt die Blase jedoch historische Dimensionen an. Der jetzige Zeitpunkt ist ein solcher Fall. Die Eurokrise sticht alle anderen Überlegungen aus. Die Finanzmärkte tanzen den lieben langen Tag nach ihrer Pfeife. Das wirkt sich destabilisierend auf das Verhalten der Marktteilnehmer aus. Und deshalb ist diese Situation von einem Gleichgewicht eindeutig weit entfernt.
    Es gibt auch Situationen, in denen negative Rückkopplungen vorherrschen. Das hat zur Folge, dass die Ansichten der Teilnehmer in Richtung der objektiven Realität konvergieren. Man kann das als Situation eines annähernden Gleichgewichts bezeichnen. Interessanterweise postuliert die Theorie der rationalen Erwartungen einen solchen bis ins unrealistische Extrem getriebenen Zustand, in dem positive Feedbackschleifen einfach nicht existieren und negatives Feedback die Wahrnehmungen und Erwartungen in eine perfekte Übereinstimmung mit der Wirklichkeit treibt, wodurch ein einfaches Gleichgewicht erzeugt wird.
    Das Labor der Finanzmärkte ist sowohl für die Untersuchung von Situationen, die nahe am Gleichgewicht sind, als auch von Situationen, die von einem Gleichgewicht weit entfernt sind, besonders gut geeignet. Doch aus Gründen der Vorsicht habe ich in „Die Alchemie der Finanzen“ darauf hingewiesen, dass die Wirklichkeit nicht eindeutig in eine dieser beiden Kategorien fällt. Die meisten konkreten Situationen liegen irgendwo dazwischen und weisen eine Mischung aus positiven und negativen Rückkopplungen auf. Trotzdem sind mehr Situationen, als man es aufgrund einer reinen Zufallsverteilung erwarten könnte, von einem der beiden soeben beschriebenen Extreme
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