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Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
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Leute zu bringen, allerdings so, daß ihnen keiner hätte nachsagen können, sie hätten überhaupt irgend etwas verkauft, und am nächsten Tag konnten sie getrost wieder von vorn beginnen. Wie man das anstellte, hatte Tatarski nicht die leiseste Ahnung.
    Allmählich lernte er auch eine andere, äußerst unangenehme Praxis kennen: Ein Auftraggeber kriegte von Tatarski einen Entwurf geliefert, erklärte höflich, dies sei doch nicht ganz das, was er sich vorgestellt habe, und vier oder sechs Wochen später kam Tatarski irgendwo ein Spot unter die Augen, der eindeutig auf seine Idee zurückging. In solchen Fällen sein Recht fordern zu wollen war sinnlos.
    Tatarski beratschlagte sich mit seinen neuen Bekannten und versuchte daraufhin, in der Hierarchie der Werbebranche ein Treppchen nach oben zu springen, indem er ganze Werbekonzeptionen entwickelte. Diese Tätigkeit unterschied sich von der vorigen nur wenig. Es gab ein Zauberbuch, nach dessen Lektüre man alle Hemmungen und Zweifel hinter sich ließ. Positioning: a battle for your mind hieß die Schwarte, und sie stammte aus der Feder zweier amerikanischer Magier, die es zu etwas gebracht hatten. Im Kern war die Sache auf Rußland natürlich nicht anwendbar. Soweit Tatarski es beurteilen konnte, wurden hier keine Schlachten zwischen Waren geschlagen, um Nischen in den aufgekratzten Hirnen seiner Landsleute zu besetzen; die Szenerie ähnelte eher einer rauchenden Landschaft the day after. Und doch war das Buch zu gebrauchen. Es gab darin nämlich eine Menge schicker Ausdrücke (zum Beispiel: line extention!), die man in die Konzepte und auch in die mündliche Rede einflechten konnte. Außerdem sah Tatarski nun, worin sich die Ära des faulenden Imperialismus von der Epoche der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals unterschied: Im Westen war es das gemeinsame Ziel von Werbefirmen und Werbekunden, den Endverbrauchern ihrer Produkte blauen Dunst vorzumachen, während eine Werbefirma in Rußland es darauf anlegte, ihrem Kunden etwas ins Hirn zu blasen. Und Tatarski begriff, daß Morkowin recht hatte: Diese Situation würde sich niemals ändern. Eines Tages (er hatte ein sehr gutes Gras zum Rauchen erwischt) entdeckte er zufällig das ökonomische Grundgesetz der postsozialistischen Gesellschaftsordnung: Die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals ist die definitive.
    Vor dem Einschlafen blätterte Tatarski hin und wieder in seiner Positionierungsfibel; sie war für ihn wie eine Heilige Schrift. Der Vergleich war um so mehr am Platze, als man in ihr Anklängen von Religiosität begegnete, die auf seine unverdorbene Seele besonders stark wirkten: Die romantischen Copywriter der Fünfziger, die längst schon im Himmel ihre große Werbeagentur betreiben . . .

Tiamat 2
    Morkowins Prophezeiung begann sich zu bewahrheiten – für Einzelgänger blieb in der Werbung immer weniger zu tun. Allmählich traf in Tatarskis Karriere eine Flaute ein. Die Jobs gingen an Agenturen, die ihre eigenen Copywriter angestellt hatten, außerdem sogenannte Kreative. Solche Agenturen schossen wie Pilze aus dem Boden – oder wie Spermien aus den Hoden (diesen Kalauer hatte Tatarski in einer seiner Konzeptionen stehen).
    Inzwischen hatte der Führer des Weltproletariats die angestammten Sockel verlassen, waren seine Standbilder auf Armeekippern vor die Stadt transportiert worden (es hieß, irgendein Oberst sei auf die Idee gekommen, sie einzuschmelzen, und habe mit dem Buntmetall eine Menge Geld gemacht, bevor er hochgegangen sei) – doch rückte an ihre Stelle eine derart graue Greulichkeit, daß die liebe Sowjetseele davon nur immer morscher wurde und schnell in sich zusammensackte. Die Zeitungen gaben sich Mühe zu versichern, daß diese Greulichkeit aller Welt innewohnte und die vielen schönen Dinge auf Erden hervorbrächte und auch das liebe Geld, und nur die Sowjetmentalität hinderte einen, das zu begreifen.
    Was genau die Sowjetmentalität darstellte und jener sakramentale Sowok, der sie angeblich in sich trug, war Tatarski nicht restlos klar, doch gebrauchte er das Wort häufig und mit Begeisterung. Und nach Ansicht seines neuen Arbeitgebers Dmitri Pugin ging es gar nicht darum, daß etwas klar war. Es ging darum, diese Mentalität zu haben. Genau darin nämlich bestand der Sinn von Tatarskis neuer Arbeit: westliche Werbekonzepte der Mentalität des russischen Konsumenten anzupassen. Der Job war free lance – ein Ausdruck, den Tatarski für sich mit »freier Landsknecht«
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