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Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
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zusammenfällt, der Nil, wie er über die Ufer tritt, das brennende Rom, irgendwelche Hunnen, die wie besengt durch die Steppe rasen – während im Hintergrund der Zeiger einer großen, transparenten Uhr sich dreht.
    »Die Geschlechter kommen und gehen«, sagt eine dumpfe, dämonische Stimme aus dem Off. »Doch die Erde bleibt bestehen.«
    Allerdings versinkt auch die Erde mitsamt den Trümmern aus Imperien und Zivilisationen am Ende im bleiernen Ozean; über den tosenden Wogen erhebt sich ein einsamer Felsen, der irgendwie die Form des Turms zu Babel wiederaufnimmt. Die Kamera fährt auf den Felsen zu, sichtbar wird das in die Felswand gehauene Relief einer Pirogge samt den Buchstaben BKL und darunter ein Spruch (Tatarski hatte ihn dem Büchlein Geflügeltes Latein entnommen):
    Mediis tempestatibus placidus
Ein Fels in den Stürmen der Zeit
BACKWARENKOMBINAT LEFORTOWO
    Bei Draft Podium rief sein Kunstwerk Entsetzen hervor.
    »Technisch wäre das machbar«, meinte Sergej. »Ein paar Sequenzen aus alten Filmen schnipseln, nachfärben, bißchen strecken und fertig. Aber es ist die blanke Idiotie. Irgendwie zum Lachen.«
    »Stimmt. Die blanke Idiotie und irgendwie zum Lachen«, bestätigte Tatarski. »Du mußt mir nur sagen, was du haben willst: die Goldene Palme von Cannes oder den Auftrag?«
    Nach einigen Tagen brachte Lena dem Kunden das Treatment in mehreren, von anderen Leuten stammenden Varianten. Darin agierten zum Beispiel ein Bäckerbursche mit unbestimmter sexueller Orientierung (der unbestimmte Slogan dazu: Schöner könnte man ihn nicht backen!), mehrere schwarzglänzende Mercedes, ein dollargefüllter Koffer und ähnliche volksnahe Klischees und Archetypen des kollektiven Unbewußten. All dies verwarf der Kunde ohne nähere Angabe von Gründen. In ihrer Verzweiflung zeigte Lena ihm schließlich Tatarskis Skript.
    Sie kehrte mit einem unterschriebenen Vertrag über fünfunddreißigtausend Dollar ins Studio zurück, zwanzigtausend davon als Vorschuß. Das war Rekord. Wenn man Lena glauben wollte, hatte der Kunde sich nach der Lektüre des Skripts aufgeführt wie eine Hamelner Ratte unter den Klängen eines ganzen Flötenorchesters.
    »Man hätte glatt vierzig rausschlagen können«, sagte sie. »Ich war zu blöd, es gleich zu schnallen.«
    Fünf Tage später war das Geld auf dem Konto, und Tatarski bekam seine ehrlich verdienten zweitausend auf die Hand. Sergej und sein Team waren schon drauf und dran, nach Jalta zu fahren, einen passenden Felsen aufzunehmen, an dem im Finale die in Granit gehauene Pirogge prangen sollte, da entdeckte man den Auftraggeber tot in seinem Büro. Jemand hatte ihn mit dem Telefonkabel erdrosselt. Am Körper fanden sich die traditionellen Bügeleisenspuren, im Mund klemmte eine unbarmherzig hineingestopfte Nocturne-Torte (likörgetränkter Biskuitteig mit melancholischem Bitterschokoladenüberzug, ein Reif aus Kokosraspel als tragische Note).
    »Die Geschlechter kommen und gehen«, erging Tatarski sich philosophisch, »aber das Hemd ist einem näher als der Rock.«
    So wurde Tatarski zum Werbetexter. Seine früheren Arbeitgeber ließ er im unklaren, legte einfach bloß die Schlüssel des Kiosks vor Husseins Wagentür. Er hatte läuten hören, daß die Tschetschenen für einen Ausstieg aus dem Geschäft hohe Auslösesummen verlangten.
    Rasch schuf er sich einen neuen Bekanntenkreis und arbeitete für mehrere Studios zugleich. Volltreffer wie der mit dem als Fels in den Stürmen der Zeit ruhenden Backwarenkombinat Lefortowo ließen sich leider nur selten landen. Tatarski begriff recht bald, daß er froh sein konnte, wenn am Ende eines von zehn Projekten erfolgreich war. Geld verdiente er nicht sonderlich viel, doch immerhin mehr als im Einzelhandel. An seine allererste Arbeit in der Branche dachte er nur mit unguten Gefühlen zurück; er fand, daß er peinlich schnell bereit gewesen war, das Wertvollste, was er in sich trug, in billiger Münze zu verschleudern. Denn als ein Auftrag dem anderen folgte, wurde ihm klar, daß man in diesem Geschäft keine Eile an den Tag legen durfte – so verdarb man die Preise, und das war dumm. Das Höchste und Heiligste mußte man so teuer wie möglich verkaufen, hinterher hatte man nichts mehr anzubieten. Wobei Tatarski wußte, daß diese Regel nicht für alle und jeden galt: Die wahren, die virtuosesten Meister des Genres, die er manchmal im Fernsehen erleben konnte, hatten den Dreh heraus, ihr Höchstes und Heiligstes täglich neu unter die
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