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Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
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überlegte, wo er das Telefon lassen konnte, fiel ihm ein, daß er etwas zu sagen vergessen hatte; er drückte also wieder auf das goldene Auge.
    »Noch eins«, sagte er. »Kümmert euch um Rostropowitsch.«

Tuborg Man
    Babilen Tatarskis 3-D-Double hatte unzählige Fernsehauftritte, doch es gab nur wenige Spots, die zu sehen ihm Spaß machte. Da war erstens jene Pressekonferenz einiger Geheimdienstoffiziere, die den Befehl erhalten haben wollten, den bekannten Geschäftsmann und Politiker Boris Beresowski zu liquidieren: Tatarski sitzt vermummt am linken Bildrand hinter den aufgestellten Mikrophonen. Zweitens die Beisetzung des bekannten Fernsehkommentators Varsuk Zejn-Valasnam, der unter rätselhaften Umständen im Eingangsbereich seines eigenen Hauses mit einem Sprungseil erdrosselt worden war: Tatarski mit schwarzer Sonnenbrille und Trauerflor am Ärmel küßt die untröstliche Witwe und wirft eine grüne Billardkugel auf den halb zugeschaufelten Sarg. Rätselhaft war die Herkunft eines anderen, offensichtlich mit versteckter Kamera gefilmten Materials: die Entladung eines amerikanischen Militärtransportflugzeugs vom Typ C-130 Hercules, das des Nachts auf dem Roten Platz gelandet war. Herausgetragen werden etliche Kartons mit dem Aufkleber Electronic Equipment und unbekanntem Firmenlogo (bestehend aus einer flüchtig skizzierten Milchdrüse von beträchtlichen Ausmaßen, wie sie nur durch Silikonimplantate erreicht werden); Tatarski, als OMON-Polizist verkleidet, friert in der Absperrkette. Dann war da noch der Auftritt als Kosakenführer Stepan Rasin auf dem Schafott, den inzwischen jedes Kind kannte – ein Monumentalwerbespot für Head-and-Shoulders-Shampoo. Slogan:
    Solange der Kopf auf den Schultern sitzt.
    Weit weniger populär war ein anderer, gleichfalls auf dem Roten Platz gedrehter Spot. Es handelte sich um eine Coca-Cola-Reklame, die nur wenige Male auf dem Petersburger Kanal des Staatlichen Fernsehens gelaufen war und eine Zusammenkunft radikal-fundamentalistischer Gruppierungen aller wichtigen Weltkonfessionen zeigte. Tatarski verkörperte einen ganz in Schwarz gekleideten Evangelisten aus Albuquerque/New-Mexico, der wütend eine leere Pepsi-Büchse zertritt und, die Hand gegen die Kremlmauer erhoben, einen Vers aus dem Psalm 14 deklamiert: »Da fürchten sie sich; denn Gott ist bei dem Geschlecht der Gerechten!«
    Vielen waren auch seine Auftritte in Spots für Wodka (Pseudo-Boris II.) und Tütensuppen (Carmino Burano) gegenwärtig; Tatarski hatte sie aus irgendwelchen Gründen nicht in seiner Sammlung. Ebensowenig die legendäre Reklame für die Moskauer Filialen der Handelskette Gap, wo Tatarski gemeinsam mit seinem Stellvertreter Morkowin zu sehen war: Morkowin als Model in goldbetreßter Jeansjacke stolziert im Schaufenster auf und ab, während Tatarski in abgerissener Armeewattejacke und mit dem Schlachtruf »Afghanistan war ganz was andres!« einen Ziegelstein gegen die Panzerglasscheibe schmeißt. Slogan:
    Enjoy the Gap!
    Sein Lieblingsvideo aber, bei dem ihm, wie Sekretärin Alla unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu erzählen beliebte, jedesmal die Tränen in die Augen traten, war niemals im Fernsehen zu sehen. Es handelte sich um eine unvollendete Tuborg-Werbung mit dem Slogan
    Sta, viator! Think final!
    (bzw. der Variante Dem Schicksal ins Auge sehen! für die Regionalprogramme) und einer Animation des Büchsenbildes mit dem einsamen Wandersmann. Es hieß, daß eine B-Variante desselben Spots existierte, worin nacheinander dreißig Tatarskis über den Bildschirm wandern; ob dem so war, dürfte kaum mehr nachzuprüfen sein.
    Die andere, sicher existierende Variante war kurz und schlicht. Tatarski geht, das weiße Hemd bis zum Nabel aufgeknöpft, einen staubigen Pfad entlang; die Sonne steht im Zenit. Plötzlich scheint ihm ein böser Gedanke zu kommen. Er bleibt stehen, lehnt sich an das hölzerne Geländer, wischt sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Ein paar lange Sekunden verstreichen, in denen der Mann seine Fassung wiedergewinnt. Er dreht der Kamera den Rücken zu, steckt das Tuch zurück in die Tasche und geht langsam weiter – dem lichtblauen Horizont entgegen, über dem ein paar hohe Sommerwölkchen schweben.
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