Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
seinem Tempel auf der Höhe des Zikkurats einschlief und einen Traum träumte. Weil er aber ein Gott war, geriet der Traum ein bißchen . . . na ja. Jedenfalls nimmt man an, daß die ganze Welt, also wir alle und sogar auch die Große Göttin, in dem Traum Vorkommen. Und die Große Göttin ist pausenlos auf der Suche nach dem Träumer, denn er ist es, der ihr das Leben schenkt. Und weil er nicht aufzutreiben ist, behilft sie sich symbolisch mit einem Erdenbürger, den sie zum Mann erwählt.«
    Tatarski schielte zu Asadowski. Der nickte und entließ durch das Mundloch der Maske ein akkurates Ringlein Rauch.
    »Erraten«, sagte Valasnam. »Er ist derjenige, welcher. Natürlich ist es für ihn immer ein spannender Moment, wenn ein anderer in das geheiligte Auge blickt, aber bisher ist immer alles gutgegangen. Komm!«
    Tatarski trat zu dem auf dem Podest liegenden Auge und kniete davor nieder. Die blau emaillierte Hornhaut war durch einen hauchdünnen Goldrand von der schwarzspiegelnden Pupille abgesetzt, in der Tatarski sein verzerrtes Gesicht sowie Valasnams gebogene Gestalt in der finsteren Kapuze und Asadowskis aufgeblasenes Knie sah.
    »Bitte den Scheinwerfer drehen«, gab Valasnam irgendwem Anweisung, »so sieht er nichts. Und den Anblick soll er doch sein Lebtag nicht vergessen.«
    Daraufhin traf ein greller Lichtstrahl die Pupille, und anstelle seines Spiegelbildes sah Tatarski einen verschwommenen goldenen Schein – so als hätte er zuvor ein paar Minuten in die untergehende Sonne geblickt und dann die Augen geschlossen, weshalb ihr Umriß jetzt noch ein Weilchen als Irrlicht über die Netzhaut geisterte. Er fragte sich, was er hätte sehen sollen.
    Hinter ihm ging etwas vor. Schweres Metall polterte zu Boden, ein Röcheln war zu hören. Tatarski sprang auf, prallte vom Altar zurück und fuhr herum. Die Szene, die sich ihm bot, war so irreal, daß er nicht einmal erschrak, denn er mußte annehmen, daß sie zum Ritual gehörte. Sasha Blo und Maljuta, auch sie in flauschigen weißen Röcken und mit vor der Brust baumelnden Goldmasken, hatten ein gelbes Sprungseil um Asadowskis Hals geschlungen und zogen jeder nach einer anderen Seite, wobei sie achtgaben, ihrem Opfer nicht zu nahe zu kommen, während Asadowski krampfhaft versuchte, das dünne Seil mit beiden Händen zu sich heranzuzerren, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. Es war ein ungleicher Kampf. Das Seil schnitt sich ihm in die Handflächen, Blut kam gesickert, färbte den gelben Strick rot, und Asadowski kippte vom Stuhl – erst auf die Knie, dann auf den Bauch, wobei er die Maske unter sich begrub. Asadowskis Augen richteten sich auf Tatarski, und dieser gewahrte den Moment, da der Ausdruck von Verblüffung und Bestürzung in ihnen erlosch und von keinem anderen abgelöst wurde. Tatarski begriff, daß Asadowski von dem Ereignis, ob es nun zum Ritual gehörte oder nicht, vollkommen überrascht worden war.
    »Was ist das? Was geht hier vor?«
    »Ganz ruhig«, sagte Valasnam. »Nichts geht mehr vor. Alles ist vor sich gegangen.«
    »Was soll das heißen?«
    Valasnam zuckte die Schultern.
    »Die Große Göttin wird ihre Mesalliance satt gehabt haben.«
    »Wer sagt das?«
    »Das letzte Atlanta-Orakel. Es hat prophezeit, daß Ischtar einen neuen Gemahl aus unserem Land bekommt. Mit Asadowski hatten wir schon geraume Zeit Probleme, aber bezüglich des Neuen tappten wir lange im dunkeln. Gesagt war nur, er trüge den Namen einer Stadt. Wir haben ewig gerätselt und gesucht, bis wir plötzlich aus Abteilung eins deine Akte auf den Tisch bekamen. Tja. Sieht ganz so aus, als wärest du der Mann.«
    »Ich???«
    Anstelle einer Antwort gab Valasnam ein Zeichen. Sasha Blo und Maljuta gingen zum toten Asadowski, packten ihn bei den Armen und zerrten ihn aus dem Altarraum in Richtung Umkleidekabine.
    »Wieso ich? Wie kommen die auf mich?« fragte Tatarski.
    »Das weiß ich doch nicht. Da mußt du dich schon selber fragen. Mich zum Beispiel wollte die Große Göttin nicht haben. Dabei hätte es so schön geklungen: Valasnam – der Mann mit dem verlassenen Namen. . .«
    »Verlassenen Namen?«
    »Ich bin gebürtiger Wolgadeutscher. Als ich gerade mein Diplom machte, kam vom Fernsehen die Anforderung für einen Washington-Korrespondenten, aber es sollte unbedingt ein Moslem sein. Als Komsomol-Sekretär stand ich auf der Amerika-Liste ganz oben, und da hat mir die Staatssicherheit den neuen Namen verpaßt. Aber wozu erzähl ich dir das. Du bist der Neue.«
    »Wären
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher