Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Schmerz. Endlich tauchte ein Licht vor ihnen auf.
    Sie betraten nun eine kleine, holzgetäfelte Kammer, die Tatarski wie der Umkleideraum einer Turnhalle vorkam. Der Eindruck schien auch gar nicht zu täuschen, an der Wand standen Garderobenschränke, zwei Jacketts hingen auf Bügeln. Eines konnte Sasha Blo gehören, Tatarski war sich nicht sicher, Sasha besaß zu viele Jacketts. Es gab noch eine zweite Tür: Von dem dunklen Holz hob sich ein goldenes Schildchen ab, in das eine sägeblattartig gezackte Linie eingraviert war. Tatarski konnte sich an eine ägyptische Hieroglyphe erinnern, die just so aussah und »schnell« bedeutete; sie war ihm aus der Schulzeit in Erinnerung geblieben, weil eine witzige Geschichte mit ihr verbunden war. Die alten Ägypter, so hatte der Lehrer erklärt, ließen sich bei allem, was sie taten, sehr viel Zeit, vor allem beim Zikkuratbau, weshalb die kurze Zickzacklinie für »schnell« in den Inschriften der größten und mächtigsten Pharaonen stets sehr lang geriet, mitunter über mehrere Zeilen hinweg: »Schnell-schnell-schnell!« sollte das heißen.
    Über dem Waschbecken hingen drei weitere abgestempelte A4-Bögen, die eine Hausordnung hätten sein können – daß es mitnichten eine Hausordnung war, sondern ein Teil der spanischen Sammlung, ahnte Tatarski natürlich. Längs der einen Wand stand ein Regal mit kleinen numerierten Fächern, in jedem lagen ein bronzener Spiegel und eine goldene Maske von der Art, wie sie in Asadowskis Vorzimmer gehangen hatten.
    »Was ist?« fragte Asadowski, während er sich das Jackett aufknöpfte. »Gibt es noch Unklarheiten?«
    »Die Blätter an der Wand«, sagte Tatarski, »gehören die auch zur spanischen Sammlung?«
    Asadowski gab keine Antwort, zog statt dessen sein Handy und drückte eine einzige Taste.
    »Alla«, sagte er, »hier hat noch wer Fragen an dich.«
    Dann reichte er das Telefon weiter.
    »Ja, bitte?« klang Alias Stimme aus dem Hörer.
    »Frag sie, was bei uns in der Umkleide hängt!« soufflierte Asadowski, während er sich das Hemd über den Kopf zog. »Ich vergesse es immer.«
    »Guten Tag«, sagte Tatarski verlegen. »Hier noch mal Tatarski. Sagen Sie, die kleine Ausstellung in der Umkleide – worum handelt es sich da genau?«
    »Das sind ganz unikale Exponate«, antwortete die Sekretärin. »Dazu darf ich über Mobilfunk nichts sagen.«
    Tatarski bedeckte den Hörer mit der Hand.
    »Sie sagt, das sei nichts fürs Telefon.«
    »Sag, ich erlaube es.«
    »Er erlaubt es«, sagte Tatarski.
    »Na gut«, seufzte die Sekretärin. »Nummer eins. Fragmente des Ischtartors aus Babylon. Löwen und Sirrufs. Offizieller Standort: Pergamon-Museum, Berlin. Von einer Gruppe unabhängiger Experten beglaubigt. Nummer zwei. Löwen. Emaillierte Reliefziegel, Prozessionsstraße Babylon. Offizieller Standort: Britisches Museum, London. Nummer drei. Ebich-il, Tempelpriester von Mari. Offizieller Standort: Louvre, Paris.«
    »Ebich-il?« fragte Tatarski erstaunt nach. Er konnte sich an ein Photo dieser Statuette aus dem Louvre erinnern. Sie war mehrere tausend Jahre alt, aus glänzendem Alabaster geschnitzt und stellte ein kleines, gewitzt dreinschauendes, bärtiges Männlein dar, das ein sonderbares Beingewand trug: halb Federrock, halb Bermudashorts.
    »Den liebe ich besonders«, sagte Asadowski, während er die Hosen herunterließ. »Nebbich! sprach Ebich und blieb auf dem Teppich . . . Ein weiser Mann und deshalb einsam. Genau wie ich.«
    Er öffnete einen der Garderobenspinde und holte zwei buschige Röcke hervor: man sah nicht gleich, ob aus Daunen oder gewalkter Schafwolle. Einen warf er Tatarski zu, den anderen zog er sich über den roten Calvin-Klein-Slip; er sah nun aus wie ein genudelter Strauß.
    »Worauf wartest du?« fragte er. »Gib mir das Telefon, und zieh dich um. Dann nimmst du dir einen Satz von dem Klimbim da und kommst rein. Egal welchen – sieh zu, daß dir der Beißkorb einigermaßen paßt.«
    Asadowski nahm sich Maske und Spiegel aus einem der Fächer, schlug sie klirrend gegeneinander, hielt die Maske vor das Gesicht und blickte Tatarski durch die Augenschlitze an. Tatarski sah sich einem goldenen Lärvchen von überirdischer Schönheit gegenüber – wie dem Karneval in Venedig entsprungen, urplötzlich aus der Menge der Maskierten hervorgetaucht. Es widersprach dem rotbehaarten, fäßchenförmigen Oberkörper, auf dem es saß, so sehr, daß Tatarski geradezu Angst bekam. Zufrieden mit der Wirkung, öffnete Asadowski
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher