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Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
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natürlich – diese Altare kriegt man ja heute zu den Render-Servern gleich mitgeliefert.«
    »Ach? Die Tafel ist gar nicht echt?«
    »Wieso nicht? Sie könnte echter nicht sein«, entgegnete Valasnam. »Basalt, dreitausend Jahre alt. Faß ihn ruhig an. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das Relief immer das bedeutet hat, was es heute bedeutet.«
    »Was ist das eigentlich für eine fleischfressende Pflanze da zwischen der Göttin und dem Hund?«
    »Das ist keine fleischfressende Pflanze, das ist ein Lebensbaum. Außerdem ein Symbol für die Große Göttin. Eine ihrer Hypostasen ist ein Baum mit drei Wurzeln, der in unseren Seelen wächst und gedeiht. Der Baum hat auch einen Namen – den erfährt man aber erst im letzten Stadium der Initiation in unseren Bund. Dich dürfen wir einstweilen nur die Namen der drei Wurzeln wissen lassen.«
    »Und die wären?«
    Valasnam sprach salbungsvoll drei lange Worte, die für Tatarski absolut nichtssagend waren; die Anzahl der Zischlaute war auffällig hoch.
    »Läßt sich das übersetzen?«
    »Auch hier mangelt es an adäquaten Wortfeldern. Es ist nur eine sehr annähernde Übertragung möglich: › oral ‹ , › anal ‹ und › verdrängend ‹ .«
    »Ach so! Verstehe. Und dieser Bund – worum handelt es sich dabei genau? Womit befaßt er sich?«
    »Na, hör mal! Als ob du das nicht selber wüßtest. Wie lange arbeitest du schon bei uns? Du siehst doch jeden Tag, womit sich unser Bund befaßt.«
    »Ich meine, wie heißt er?«
    »In früherer Zeit hat er einmal Gilde der Chaldäer geheißen. Allerdings nur bei denen, die nicht dazugehörten, höchstens gerüchteweise von ihm wußten. Wir selbst nennen ihn den Bund der Gärtner, weil wir es als unsere Aufgabe ansehen, den heiligen Baum zu hegen, der der Großen Göttin das Leben schenkt.«
    »Existiert der Bund schon lange?«
    »Sehr lange. Er soll bereits in Atlantis aktiv gewesen sein. Der Einfachheit halber sehen wir es so, daß er von Babylon nach Ägypten und von da zu uns gelangt ist.«
    Tatarski rückte die Maske zurecht, die ihm beinahe vom Gesicht gerutscht wäre.
    »Aha«, sagte er. »Da war der Bund wohl am Turmbau zu Babel beteiligt?«
    »Nein. Das ganz bestimmt nicht. Wir sind doch kein Baubüro. Wir sind Diener der Großen Göttin. Um mit deiner Terminologie zu reden – wir passen auf, daß der Pisdez nicht aufwacht und angreift, das siehst du richtig. Ich denke, du verstehst auch, daß wir hier in Rußland besondere Verantwortung tragen. Denn der Hund schläft hier bei uns.«
    »Wo denn genau?«
    »Überall und nirgends. Die Aussage, daß er unter dem Schnee liegt, ist eine Metapher. Aber daß er in diesem Jahrhundert schon ein paarmal nahe daran war zu erwachen – das kannst du pur nehmen.«
    »Wenn das so ist – warum kürzen sie uns dann in einem fort die Frequenz?«
    Valasnam hob die ausgebreiteten Arme.
    »Menschlicher Leichtsinn«, sagte er.
    Er ging zum Altar und ergriff den goldenen Kelch.
    »Tagespolitik. Kurzsichtige konjunkturelle Erwägungen. Aber sie würden es nie wagen, uns ganz in den Keller zu fahren, keine Angst. Da passen die schon genau auf. Wenn du nichts dagegen hast, würden wir jetzt mit dem Ritual beginnen.«
    Valasnam näherte sich Tatarski und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Knie nieder und nimm die Maske ab.«
    Tatarski gehorchte. Valasnam tauchte einen Finger in den Kelch und malte ein feuchtes doppeltes M auf seine Stirn.
    »Was ist da drin?« wagte Tatarski zu fragen.
    »Hundeblut. Die Symbolik muß ich dir wohl nicht erklären.«
    »Nein«, sagte Tatarski und erhob sich. »Ich hab Bücher zu Hause. Und nun?«
    »Du mußt ins geheiligte Auge sehen.«
    Dieser Satz ließ Tatarski aus irgendeinem Grund zusammenzucken. Asadowski bekam es mit.
    »Keine Bange!« sagte er. »Durch das Auge erkennt die Große Göttin ihren Mann. Und da sie schon einen hat, ist es reine Formsache. Du schaust hinein, es zeigt sich, daß du nicht der liebe Gott Marduk bist, und wir können in aller Ruhe weitermachen.«
    »Marduk?«
    »Ja. Egal«, sagte Asadowski und zog erst eine Schachtel Zigaretten Marlboro, dann ein Feuerzeug unter dem Rock hervor. »Nur so. Varsuk, erklär du’s ihm, du kannst es besser. Ich genehmige mir derweil fünf Minuten Freiheit und Abenteuer.«
    »Das ist noch so ein Stück Mythologie«, sagte Valasnam. »Die Große Göttin hatte einmal einen Mann, der auch ein Gott war, sogar der Chefgott der Götter, und dem flößte sie einen Liebestrunk ein, worauf er in
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