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Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
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hatte sich bei ihrer Bekannten einquartiert und nach kurzer Zeit auch polizeilich angemeldet, hatte anschließend aus Dnepropetrowsk seine Schwester nebst zwei Kindern kommen lassen, die er ebenso ungeniert ins Melderegister zauberte. Das Ende war, daß er nicht diese, aber eine andere Wohnung gerichtlich zugesprochen bekam und die Freundin im Zimmer einer Gemeinschaftswohnung landete.
    »Der Mann wird es zu was bringen!« sagte Lena.
    Besonders stark fand sie es, daß die Schwester mit den Kindern gleich im Anschluß an dieses Manöver zurück nach Dnepropetrowsk expediert worden war; überhaupt spickte Lena ihren Bericht mit so viel Einzelheiten, daß es Tatarski nach den zwanzig Minuten Fahrt so vorkam, als hätte er sein halbes Leben in einer Wohnung mit Asadowski und dessen Sippe verbracht. Im übrigen war er nicht weniger nervös als Lena.
    Der Kunde (sein Name blieb ein Geheimnis) entsprach verblüffend genau dem Bild, das Tatarski sich nach dem gestrigen Gespräch von ihm gemacht hatte: ein kleiner, bulliger Typ mit listigem Gesicht, worin sich die Nachwehen des Alkohols eben verflüchtigten – vermutlich hatte er kurz vor dem Termin sein erstes Glas an diesem Morgen gehabt.
    Nach einem knappen Austausch von Liebenswürdigkeiten (wobei in erster Linie Lena zum Zuge kam – Sergej saß in einer Ecke, ein Bein über das andere geschlagen, und rauchte) wurde Tatarski als Skriptschreiber vorgestellt. Er nahm direkt gegenüber dem Kunden Platz, stemmte die Rolex auf den Tisch und klappte den Planer auf. Sehr bald war klar, daß der Mann nicht viel zu sagen wußte. Um sich von den Einzelheiten seines Busineß inspirieren zu lassen, hätte man ein kräftiges Halluzinogen benötigt – am längsten hielt er sich bei irgendwelchen Kuchenblechen mit Fluoräthylenbeschichtung auf, an denen nichts anbuk. Den Kopf etwas zur Seite gewandt, lauschte Tatarski, nickte hin und wieder und malte sinnlose Kringel in seinen Block. Aus den Augenwinkeln sah er sich im Zimmer um – auch hier gab es nichts Interessantes, abgesehen von einer sichtlich teuren silberblauen Rentierpelzmütze, die auf dem obersten Bord eines ansonsten vollkommen leeren Glasschranks lag.
    Wie verhießen, piepste nach einigen Minuten der Pager an seiner Hüfte. Tatarski schnallte die kleine schwarze Plastikbox vom Gürtel. In dem Fensterchen standen die Worte: Welcome to the route 666.
    Witzig, witzig! dachte Tatarski.
    »Video International?« fragte Sergej aus seiner Ecke.
    »Nein, nein«, nahm Tatarski die Steilvorlage auf, »diese Clowns rufen mich Gott sei Dank nicht mehr an. Slawa Saizew. Der Modezar. Er sagt für heute alles ab.«
    »Wieso?« fragte Sergej und hob die Brauen. »Wenn er denkt, wir hätten ihn nötiger als . . .«
    »Reden wir später drüber«, sagte Tatarski.
    Unterdessen hielt der Kunde den umflorten Blick auf die Rentierpelzmütze im Glasschrank gerichtet. Tatarski sah auf seine Hände. Die Finger lagen verschränkt auf dem Tisch, nur die Daumen drehten sich geschwind umeinander, so als hätten sie einen unsichtbaren Faden aufzuspulen. Dies war der Augenblick der Wahrheit.
    »Haben Sie keine Angst, daß das alles mal ein Ende haben könnte?« fragte Tatarski. »Sie wissen ja, wie die Zeiten sind. Plötzlich fällt alles zusammen.«
    Der Kunde zog die Stirn kraus und warf einen kurzen, verwunderten Blick auf Tatarski, dann auf dessen Kollegen. Die Daumen standen nun still.
    »Natürlich hab ich Angst«, erwiderte er und sah ihm in die Augen. »Wer hat die nicht. Sie stellen Fragen.«
    »Pardon«, sagte Tatarski. »Ich meinte nur so.«
    Fünf Minuten später war das Gespräch beendet. Sergej nahm ein Formular mit Briefkopf entgegen – das Logo bestand aus einer stilisierten Pirogge im ovalen Rahmen, darunter die Buchstaben BKL. Nach acht Tagen wollte man sich wiedertreffen; Sergej sagte für diesen Termin ein fertiges Treatment zu, außerdem irgendwelche Storyboards und Bilanzen.
    »Was ist mit dir, du hast sie wohl nicht alle?« fragte er Tatarski, als sie wieder auf der Straße standen. »Wer stellt denn solche Fragen!«
    »Laß mal«, sagte Tatarski. »Dafür weiß ich jetzt, was er will.«
    Der Mercedes brachte sie zur nächsten Metrostation.
    Zu Hause schrieb Tatarski in wenigen Stunden das Gewünschte nieder. Er war lange nicht mehr in so kreativer Stimmung gewesen. Das Treatment hatte keinen konkreten Plot – es bestand aus einer Abfolge historischer Reminiszenzen und Metaphern: der Turm zu Babel, wie er wächst und in sich
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