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Generation P

Generation P

Titel: Generation P
Autoren: Viktor Pelewin
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übersetzte – besonders, wenn er an die Bezahlung dachte.
    Pugin, ein Mann mit schwarzem Schnauzer und funkelnd schwarzen Knopfaugen, trat zufällig in sein Leben, sie trafen sich bei einem gemeinsamen Bekannten. Der Auskunft, daß Tatarski in der Werbebranche arbeite, begegnete er mit gemäßigtem Interesse. Tatarski wiederum hegte Pugin gegenüber sofort ein irrational hohes Maß an Respekt – vor allem, daß dieser Mann seinen langen schwarzen Mantel zum Teetrinken nicht ablegte, frappierte ihn.
    Man kam auf die Sowjetmentalität zu sprechen. Pugin gab zu, sie in vergangenen Tagen gleichfalls besessen zu haben, doch war er ihrer während jener Jahre, die er in New York als Taxifahrer gearbeitet hatte, komplett verlustig gegangen. Die salzigen Winde von Brighton Beach hatten ihm die schimmligen sowjetischen Konstruktionen aus dem Schädel geblasen und den unaufhaltsamen Drang zum Erfolg eingepflanzt.
    »In New York spürst du besonders deutlich«, sagte er Tatarski bei einem Gläschen Wodka, zu dem sie nach dem Tee übergegangen waren, »daß es möglich ist, dein ganzes Leben in einer engen, miefigen Küche zu verbringen und miese Buletten zu kauen, mit Blick auf einen dreckigen, vollgeschissenen Hof. Du stehst am Fenster so wie jetzt, glotzt runter auf diese Scheiße und merkst nicht, wie das Leben verstreicht.«
    »Die Frage ist«, erwiderte Tatarski nachdenklich, »wieso man dafür erst nach New York fahren muß?«
    »Weil es dir in New York auffällt und hier in Moskau nicht«, fiel Pugin ihm ins Wort. »Stimmt, hier gibt es solche miefigen Küchen und verschissenen Höfe in noch viel größerer Zahl. Nur daß du hier partout nicht merkst, wie in alledem dein ganzes schönes Leben dahingeht. So lange nicht, bis es wirklich vorbei ist. Und das ist, nebenbei gesagt, ein Grundzug der sowjetischen Mentalität.«
    Pugins Ansichten waren einigermaßen angreifbar, dafür war das, was er ihm vorschlug, einfach, klar und logisch, geradezu ein Musterbeispiel amerikanischen Unternehmergeistes – soweit Tatarski dies aus den Abgründen seiner Sowjetmentalität zu beurteilen vermochte.
    »Du mußt das so sehen«, sagte Pugin, während er mit zusammengekniffenen Augen über Tatarskis Kopf hinweg in die Ferne sah, »der Sowok produziert so gut wie gar nichts mehr selber. Aber was zu essen und anzuziehen brauchen die Leute ja trotzdem, nicht wahr? Also werden hier sehr bald Waren aus dem Westen anlanden. Und gleichzeitig wird eine Flut von Werbung über uns kommen. Wobei man die nicht einfach so aus dem Englischen ins Russische übersetzen kann, denn hier herrschen ganz andere . . . wie hieß das noch mal. . . cultural references . . . kurz, die Werbung muß für den russischen Verbraucher umgebacken werden. Und jetzt paß auf, was wir zwei beide tun werden. Wir setzen uns hin und bereiten im voraus – das ist der Witz, hörst du: im voraus! – die Konzepte für alle wichtigen Marken vor. Und wenn es soweit ist, marschieren wir mit unserer Mappe in deren Büro und machen den Deal. Das wichtigste ist, vorzusorgen und ausreichend Hirnmasse auf Lager zu haben!«
    Was Pugin mit einem Hieb der flachen Hand auf die Tischplatte bekräftigte – offenbar meinte er vorgesorgt zu haben. Tatarski hingegen hatte das flaue Gefühl, daß ihn schon wieder jemand über diesen Tisch zu ziehen suchte. Die Perspektiven, wie Pugin sie vor ihm ausbreitete, waren recht nebulös – auch wenn es um einen handfesten Job zu gehen schien, blieb unklar, wann und wieviel dafür gezahlt werden würde.
    Als Testballon ließ Pugin ihn eine Werbekonzeption für Sprite entwerfen – anfangs hatte er gleich noch Marlboro dazulegen wollen, es sich aber plötzlich anders überlegt und gemeint, dies sei für Tatarski noch zu früh. Und prompt, so stellte Tatarski im nachhinein fest, war wieder die sowjetische Mentalität angesprungen, um derentwillen er hier gebraucht wurde: All seine Skepsis gegenüber Pugin ging augenblicklich in der Entrüstung auf, daß sein neuer Chef ihm nicht gleich Marlboro anvertraute, wobei die Kränkung von der Freude aufgewogen wurde, daß Sprite ihm immerhin geblieben war; vom Strudel dieser Gefühle mitgerissen, stellte er sich keinen Moment die Frage, mit welchem Recht ein dahergelaufener Taxifahrer aus Brighton Beach, ohne Tatarski bislang eine Kopeke gezahlt zu haben, bestimmte, ob er über eine Marlboro-Konzeption nachdenken durfte oder nicht.
    In seinen Sprite-Entwurf legte Tatarski all das hinein, was er über die
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