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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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unterlaufen und vorgeführt. Haben meine Ermittlungen behindert, unerlaubt Zeugen befragt, Beweise unterschlagen und – was am schlimmsten ist – sich und andere in Gefahr gebracht.« Er hatte sich vor mir aufgebaut, den Brustkorb aufgebläht, die Augen weit aufgerissen.
    »Ich habe den Fall aufgeklärt.« Die Ruhe in meiner Stimme überraschte mich selbst. Er hatte recht. Alles, was er mir vorwarf, stimmte. Sollte er mich doch endgültig aus dem Polizeidienst katapultieren. Aber, das wurde mir auf einmal klar, ich war es gewesen, die Maria Henk entlarvt, überführt und festgesetzt hatte. Ich. Mit meinen Erfahrungen, meinen Fähigkeiten und meinem Können. Auch wenn es nicht ganz legal gewesen war. Und nicht immer logisch. Und erst recht nicht immer vernünftig. So wie ich. Ich konnte es noch.
    Sauerbier fiel in sich zusammen, wie ein Luftballon, den man mit einer dünnen Nadel angepikst hatte.
    »Ja, das haben Sie, Frau Weinz.«
    Ich sah ihn unverwandt an. »Hat sie ein Geständnis abgelegt?«
    Er nickte und schob mir mit spitzen Fingern eine Akte über den Tisch zu. Ich öffnete sie und suchte das Vernehmungsprotokoll. Maria Henk war die Mörderin Peter Prutschiks. Sie war ihm durch den Kurpark gefolgt, als er das Fest verließ. Hatte gedacht, er wäre ihretwegen zurückgekommen, nachdem er sie vor Jahren verlassen hatte. Seine erneute Zurückweisung konnte sie nicht ertragen. Wenn sie ihn nicht haben durfte, dann niemand. Sie erschlug ihn mit einem Ast, schor ihm die Haare. Danach kletterte sie über den Zaun ins Schwimmbad, um sich von den Blutflecken zu reinigen, und ging dann auf das Fest zurück.
    »Wir vergleichen gerade ihre DNA mit der Kartei. So wie es aussieht, war Peter Prutschik nicht ihr erstes Opfer«, unterbrach Sauerbier meinen Lesefluss.
    Ich sah von der Akte auf und runzelte die Stirn. »Warum hat sie ihn kahl geschoren?«
    »Wir haben so ein kleines Nähset in ihrer Handtasche gefunden. An der Schere klebten noch Haare. Aber warum sie es getan hat? Wir wissen es noch nicht. Eine Psychologin wird mit dem Fall befasst. Maria Henk ist«, er machte eine kreisende Bewegung mit dem Zeigefinger an seiner Schläfe, »nun, sagen wir mal, ungewöhnlich motiviert.«
    »Frau Rostler stand ihr ebenfalls im Weg. Sie hat es mir gegenüber zugegeben.«
    »Sie hat sie mit Kuchen gefüttert und ihr gleichzeitig ein Medikament verabreicht, das eine Insulinausschüttung verhinderte.«
    »Stammte das Medikament von ihrem Vater?«
    »Ja.« Er räusperte sich. »Wir haben den Pathologen befragt. Die Art Medikamente halten sich ewig. Auch über das Verfallsdatum hinaus.« Er schwieg einen Augenblick und zwirbelte an seinem Schnauzer. »Der Vater starb auch an einer Insulinproblematik.«
    »Tat er das?« Ich trommelte mit den Fingern auf die Akte.
    Sauerbier seufzte, nickte und machte sich eine Notiz. »Es gibt einen ungeklärten Fall in Düsseldorf, ein junger Mann wurde ermordet. Sie war seine Kollegin. Bisher konnte man ihr nichts nachweisen.« Sauerbier ging wieder zu seinem Stuhl. Das Metall ächzte, als er sich darauffallen ließ.
    »Sie ist krank.« Ich dachte an Michelles Reaktion, als sie abgeführt wurde. »Sie verdrängt alles Böse.«
    »Wollen Sie sie entschuldigen?«
    »Nein. Sicher nicht. Aber verstehen.«
    »Einen Mord sollte man nicht verstehen wollen.«
    »Wenn es mich der Lösung näherbringt.«
    Sauerbier nickte und brummte Zustimmung.
    »Es gibt noch mehr offene Fragen im Leben der Maria Henk: Die Schwägerin …«
    »Sie hat angeblich ihren Mann verlassen.«
    Ich dachte an die Todesanzeige in Michelles Mappe mit Zeitungsausschnitten.
    »Wir werden das alles überprüfen.«
    »Es wäre nett von Ihnen, wenn Sie mich auf dem Laufenden halten – so rein interessehalber.« Ich legte die Akte auf den Tisch und klappte sie zu.
    »Wollen Sie uns nicht helfen, es zu überprüfen?«
    »In welcher Form?«
    »In der offiziellen.« Er machte eine Pause und sah aus dem Fenster. »Es schadet auch nichts, wenn man hier aufgewachsen ist. Ganz im Gegenteil. Wissen Sie«, er grinste, »die Zugezogenen denken, sie wüssten Bescheid, aber …«
    »Ich werde darüber nachdenken, Herr Sauerbier.«
    »Kommen Sie zu mir, wenn Sie sich entschieden haben.«
    Das hatte ich heute schon einmal gehört. Ich stand auf und hielt ihm meine Hand entgegen.
    Die Bäume protzten mit ihrem satten Grün in der Mittagsonne. Ich lehnte meinen Kopf an die Seitenscheibe des Taxis, streckte die Hand aus und trommelte mit den Fingernägeln
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