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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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Das heiße Getränk tat mir gut, und meine Gedanken ordneten sich.
    »Wenn ich Olaf und Hermann gesehen habe, lege ich mich wieder hin und schlafe eine Woche lang«, murmelte ich und pickte die letzten Krümel vom Teller. »Lass uns gehen, Förster.«
    Die Fahrt über schwiegen wir die Art von Schweigen, die Vertrautheit ausatmet. Auf dem Gang vor Thomas’ Behandlungszimmer legte Steffen seine Hand auf meinen Arm und zog mich zu sich heran. Stumm sah er mich an, musterte mein Gesicht und strich durch mein Haar. Dann beugte er sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange.
    »Ich warte im Auto auf dich.« Er drehte sich um und ging den Flur hinunter, ohne sich einmal umzudrehen. Ich seufzte und blickte ihm nach, bis er verschwunden war.
    »Was lungerst du hier vor meinem Büro herum? Willst du nicht reinkommen?« Thomas stand in der offenen Tür und streckte einladend seinen Arm aus. »Immer herein in die gute Stube.«
    »Wie geht es Olaf?«, unterbrach ich ihn.
    »Es geht ihm gut. Körperlich. Er hat viel Blut verloren, aber …«, Thomas drehte seinen Bürostuhl und setzte sich, »wir konnten ihn mit Blutkonserven und Flüssigkeitszufuhr stabilisieren.« Er schlug eine Krankenakte auf und blätterte darin, ohne sie zu lesen. »Seine feine Freundin wusste, wie man die Schnitte führt, damit es auch richtig blutet. Das hätte durchaus ins Auge gehen können.« Er schüttelte den Kopf und betrachtete seine Fingerspitzen. »Das ist einer dieser Fälle, die mich fassungslos machen. Ich habe nicht gemerkt, wie krank sie ist.«
    »Und wie gefährlich«, ergänzte ich seinen Satz. »Ich auch nicht, Thomas. Niemand hat das. Sonst wäre es nicht so weit gekommen.«
    Thomas nickte. »Dich hat sie auch ganz schön erwischt, was?«
    »Es ist schon besser, danke.«
    »Du solltest es aber trotzdem untersuchen lassen.«
    »Ich möchte zu Olaf und zu Hermann.«
    »Sofort?« Er hielt mir eine Taschenlampe hin. »Soll ich nicht erst …?«
    »Sofort.« Ich stand auf, und er folgte mir über die Flure zu Olafs Zimmer.
    Mein Bruder war wach. Nach einer kurzen Untersuchung lächelte Thomas mir zu, während er zur Tür ging.
    »Alles wieder im Lot. Wir behalten ihn bis morgen hier. Zur Sicherheit. Er ist nämlich vernünftiger als du.« Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
    Ich stellte meine Handtasche auf den kleinen Tisch an der Wand und trug einen Stuhl zu Olafs Bett. Bevor ich mich setzte, sah ich ihn an. Er nickte. Dann drehte er den Kopf zur Seite und schaute aus dem Fenster, hinter dessen Glas der Sommer tobte. Hier drin war es kühl. In meinem Kopf stoben Gedanken, Wortfetzen und Halbsätze wild durcheinander. Ich wusste nicht, wie und wo ich anfangen sollte.
    Olaf weinte stumm. Tränen liefen ihm aus den Augenwinkeln über die Wangen. Aber er rührte sich nicht. Starrte einfach immer weiter aus dem Fenster ins Nichts.
    Ich stand auf, streifte meine Schuhe ab und hob die Bettdecke an. Dann legte ich mich zu ihm und umarmte ihn. Ich spürte, wie er zitterte.
    »Ich hatte gedacht, ich hätte die gefunden, die mich so liebt, wie ich bin.« Er sagte die Worte so, als ob er sie immer und immer wieder in seinem Kopf gedacht und sie nun mit Mühe nach draußen gepresst hätte.
    Statt einer Antwort strich ich ihm übers Haar und wartete.
    »Ich hätte alles für sie getan.«
    Wieder wartete ich, und als er nicht weitersprach, fragte ich ihn leise: »Was hast du für sie getan?«
    Er wandte mir sein Gesicht zu. Ich sah, wie die Muskeln an seinen Kiefern mahlten.
    »Ich habe sie nicht verraten.«
    »Wusstest du, dass sie Prutschiks Geliebte war?«
    »Zuerst nicht.«
    »Wann?«
    »Als mir klar wurde, dass sie Maria Henk war.«
    »Du hast mir nichts davon gesagt.«
    »Du hättest sie mir weggenommen.«
    Ich schluckte und blickte an die Decke. Eine Fliege lief über das Milchglas der Deckenleuchte, putzte sich und brummte dann davon.
    »Du wolltest sie beschützen.«
    Ich spürte, wie er nickte.
    »Hast du gewusst, dass sie ihn umgebracht hat?«
    »Nein.«
    Ich schwieg.
    »Wir sind an der Theke kurz ins Gespräch gekommen. Nachdem du und Steffen verschwunden seid, habe ich sie wiedergetroffen und mit ihr getanzt. Aber das war viel später.«
    »Ist dir da etwas aufgefallen an ihr?«
    »Nur dass sie nasse Haare hatte.« Die Fliege schwebte von der Decke und setzte sich auf Olafs Hand. »Es hatte geregnet. Aber ihr Kleid war trocken.« Olaf richtete sich in seinen Kissen auf. »Sie machte einen sehr glücklichen Eindruck auf mich. Sehr
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