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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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Parkhauses hinter ihm zugefallen war.
    »Sie sollten es schnell tun!«
    Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Auf der Bank gegenüber saß eine alte Frau im rosa Plüschbademantel.
    »Was sollte ich schnell tun?«
    »Sich entscheiden.«
    »Kann ich das?«
    »Sie können nicht davor flüchten.«
    »Ich habe es versucht.«
    »Am Ende der Flucht steht das Ankommen.«
    »Das hat meine Oma immer gesagt.« Ich betrachtete ihr Gesicht. Sie kam mir bekannt vor.
    »Ich hatte gedacht, Sie wären gestorben.«
    Sie lachte ein raues, kratziges Lachen. »Warum? Weil die Intensivstation für so alte Schachteln wie mich meist das Ende bedeutet?«
    Ich nickte.
    »Nicht in Schubladen denken, Kindchen. Das führt zu nichts.«
    »Sie sind nicht tot.«
    »Richtig.« Sie grinste und zog einen Zigarillo aus der Tasche ihres Bademantels. »Noch lange nicht.«
    Der Taxifahrer schwieg während der Fahrt nach Schleiden. Eher ungewöhnlich für einen Eifler, aber mir war es recht.
    Ich musste mit Sauerbier sprechen. Einige Dinge klarstellen, sie geraderücken. Und einige Dinge erfahren.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Ein Polizist stoppte auf dem Flur des Polizeigebäudes meine Zielstrebigkeit mit seiner höflichen, aber durchaus bestimmten Frage.
    »Ich möchte zu Kommissar Sauerbier«, antwortete ich in einem Ton, der, wie ich hoffte, die Dringlichkeit und Legitimität meines Vorhabens deutlich unterstrich.
    Er musterte mich von oben bis unten. »Na, dann kommen Sie mal mit«, murmelte er, drehte sich um und ging den Gang vor mir entlang in Richtung von Sauerbiers Büro. Unsere Schritte hallten, und die kleinen Fenster schafften es, den Sommer draußen vorzulassen.
    Er klopfte, und als Antwort auf das gedämpfte Gemurmel aus dem Zimmer öffnete er mir die Tür und hielt sie mir auf.
    »Besuch für Sie, Herr Sauerbier.«
    Der Kommissar saß hinter seinem Schreibtisch und sah auf.
    »Frau Weinz!« Er stand auf und kam mir entgegen. »Danke, Herr Weiss«, nickte er dem Kollegen zu. »Sehr nett von Ihnen.«
    »Kennen Sie den Kollegen Weiss? Er ist ebenfalls aus Köln geflohen, wie Sie. Seit November hier in Schleiden auf der Wache.«
    Ich schüttelte den Kopf. Mit allem hatte ich gerechnet, Tobsuchtsanfälle, Androhungen der endgültigen Suspendierung, aber nicht mit dieser beiläufigen Begrüßung.
    »Er dachte, hier in der Eifel ginge es ruhiger zu, aber da hat er sich getäuscht.« Sauerbier lachte leise. »Da haben Sie beide ja was gemeinsam, was?«
    Was für ein Spiel trieb er? Ich fühlte mich unwohl. Ich lächelte.
    »Setzen Sie sich.« Aha. Der Tonfall änderte sich schlagartig. Sauerbier quetschte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, zwirbelte die Schnurrbartenden und behielt mich im Blick. »Das ging ja erstaunlich schnell.«
    »Was ging erstaunlich schnell?« Ich fragte mich, wieso er es schon wieder schaffte, mich in die Rolle eines kleinen Schulmädchens zu drängen, das ängstlich darauf wartete, was der Lehrer zu ihm sagte. Ich blieb stehen, legte aber eine Hand auf die Rückenlehne des Stuhls.
    »Die Aufklärung des Mordfalles.«
    Was sollte ich darauf sagen? Was erwartete er? Sollte ich ihn für seine Arbeit loben? Das wäre glatt gelogen. Sollte ich aussprechen, wie es gewesen war, nämlich, dass der Fall dank mir so schnell gelöst worden war? Würde er es als Anmaßung empfinden? Also schwieg ich, setzte mich hin und stellte meine Handtasche auf seinen Schreibtisch.
    Er räusperte sich, strich mit beiden Händen gleichzeitig über die glatte Arbeitsfläche und stand auf. Er verschränkte die Arme auf dem Rücken und drehte sich zum Fenster herum.
    »Vor fünf Tagen, am Sonntagabend, wurde Peter Prutschik ermordet.« Er schaute kurz auf seinen Wandkalender, als ob er sich davon überzeugen müsste, welcher Tag heute war. »Heute Nacht haben wir seine Mörderin verhaftet.« Er wippte auf den Zehenspitzen und starrte weiter aus dem Fenster. »Wissen Sie eigentlich, wie unmöglich Sie sich in dieser Sache verhalten haben, Frau Weinz?«
    Mich beschlich das dringende Gefühl, dass diese Frage rein rhetorisch gemeint war. Ich ruckelte auf meinem Stuhl, um ihn meiner uneingeschränkten Aufmerksamkeit zu versichern.
    Eine Weile hörte ich nichts als sein Atmen und meinen Herzschlag.
    »Herr Sauerbier«, setzte ich an, bemüht darum, meiner Stimme Selbstsicherheit und Stärke zu verleihen, aber ich kam nicht weit.
    »Seien Sie still, Frau Weinz!«, brüllte er mich an und fuhr herum. »Sie haben mich den letzten Nerv gekostet. Haben mich
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