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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut
Autoren: Elke Pistor
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Ich zwängte meine Füße in den Spalt und hebelte die Tür aus den Angeln.
    Es war nur dünnes Holz – zu meinem Glück. Das Schloss knirschte, als der Schließer herausglitt und den Weg freigab.
    Schwindel kam über mich wie eine Welle. Übelkeit schwappte hoch, und ich erbrach mich. Kleine bunte Funken sprühten vor meinen Augen. Die Kraftanstrengung hatte mich wohl doch überfordert, und wie es schien, hatte Michelle mir mit dem Schlag eine Gehirnerschütterung verpasst. Ich schluckte, um den Geschmack aus meinem Mund zu vertreiben. Ich durfte jetzt nicht schlappmachen.
    Michelle war eine Mörderin. Sie war unberechenbar. Sie war gefährlich. Schwankend schleppte ich mich zu dem Raum, in dem ich Olaf vermutete. Er lag noch an derselben Stelle. Sein Kopf war zur Seite gekippt, und die Augen waren halb geschlossen. Als ich seine Wange berührte, zuckte er zusammen, zeigte aber ansonsten keine Reaktion. Ein großer Bluterguss an seiner Stirn ließ mich vermuten, dass Michelle ihn ebenso niedergeschlagen hatte wie mich.
    »Olaf!« Ich rüttelte ihn. »Olaf, wach auf. Wir müssen hier raus!«, flüsterte ich.
    Ein leises Stöhnen war die Antwort.
    Es hatte keinen Sinn, ihn wecken zu wollen.
    So schnell, wie das Drehen und Summen in meinem Kopf es zuließ, ging ich die Kellertreppe hinauf. Michelle, davon war ich jetzt überzeugt, war nicht mehr im Haus. Bei all dem Krach, den ich verursacht hatte, wäre sie sonst schon längst wieder auf der Bildfläche erschienen.
    Das Erdgeschoss lag im Dunkeln. Die Haustür verschlossen, ebenso wie die Fenster. Ich ging ins Wohnzimmer. Durch den Garten konnte ich in Olafs Wohnung sehen. Michelle war dort. Und Sauerbier bei ihr. Sie redeten. Was für Lügen erzählte sie ihm wohl?
    Michelle gestikulierte wild, und Sauerbier hörte ihr aufmerksam zu. Was wollte Sauerbier bei Olaf? Suchte er mich? Jetzt wäre ich froh, wenn er mich bemerken würde. Ich schlug gegen das Glas, schrie und hämmerte mit den Fäusten gegen die Scheiben. Ohne Erfolg. Die Terrassentür war ebenfalls abgeschlossen worden. Die Kollegen waren gründlich gewesen und hatten den Fundort von Frau Rostlers Leiche gut abgesichert.
    Das Telefon. Ich versuchte mich zu erinnern und sah mich um. Dort stand es, auf einem kleinen Tischchen mit Häkeldecke. Ich wollte danach greifen, als ich das lose Kabelende entdeckte. Eine saubere Schnittstelle. Michelle machte keine halben Sachen. Aber es musste noch einen weiteren Apparat geben. Oben. Frau Rostler hatte mir erzählt, dass sie panische Angst davor hatte, zu fallen und keine Hilfe holen zu können. Ich nahm zwei Stufen auf einmal, ohne auf das Hämmern in meinem Schädel zu achten.
    Im Schlafzimmer war nichts. Auf dem Flur – Fehlanzeige. Im Bad wurde ich fündig. Das Freizeichen dröhnte in mein Ohr. Mein Finger schwebte über der Wählscheibe. Sauerbiers Handynummer kannte ich nicht. Ich wählte den Notruf und erklärte dem Kollegen die Lage. Er versprach, sofort einen Wagen loszuschicken und Sauerbier zu informieren. Selbst wenn Sie sofort losfuhren, würden sie mindestens eine Viertelstunde brauchen, bis sie hier sein könnten. Blieb Steffen. Er wäre schneller. Ich wählte die Nummer. Zweimal, dreimal, viermal tutete es aus dem Hörer, dann sprang der Anrufbeantworter an.
    »Mist, verdammter, wo treibst du dich rum, wenn ich dich brauche!«, fluchte ich und knallte den Hörer auf die Gabel. Steffen war unterwegs. Ich musste ihn auf dem Handy anrufen. Okay. Mein Zahlengedächtnis war noch nie das Beste gewesen, aber ich hatte mir den Spruch gemerkt: »Förster mit oe«. »F« – welche Zahl war »F«? Ich starrte auf die Wählscheibe des alten Telefons. Dann schloss ich die Augen. Wie waren die Buchstaben auf den Handytastaturen angeordnet? Zu zweit, zu dritt? Und auf der »1«, da waren doch keine Buchstaben, oder? Ich kämpfte mich durch die Zahlen. Als ich hörte, wie sich eine Verbindung aufbaute, seufzte ich vor Erleichterung auf. Es klickte am anderen Ende, und Steffens Stimme war zu hören: »Hallo?«
    Mit kurzen Worten informierte ich ihn über das Geschehen.
    »Komm, schnell!«, flüsterte ich, denn in diesem Augenblick hörte ich unten die Haustür aufgehen.
    »Hallo, ihr Lieben!«, flötete Michelle, als ob sie von einem ihrer Einkaufsbummel zurückkommen würde. Der Kollege in Schleiden hatte Sauerbier nicht rechtzeitig erreicht.
    Ich legte auf und schlich mich an das Treppengeländer. Noch hatte sie mich nicht bemerkt. Sie ging zum Kellereingang und
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