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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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rechten Gehsteig erreicht hat, stehen, dreht sich um und rennt über die Straße zu seiner Schwester zurück. Das Ganze geschieht in Sekundenschnelle.
    Zanders tritt hart auf die Bremse.
    Der Wagen bleibt einen halben Meter vor dem Kind stehen.
    Das Kind beginnt laut zu heulen.
    Zanders hört das Weinen des Kindes nicht. Er ist mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprallt und dann wieder zurückgeschleudert worden. Blut rinnt über seine Stirn.

15

    Der letzte Urlaubstag. Ein Sonntagmorgen.
    Birke ist zeitig aufgestanden.
    Ihr kleiner Koffer steht bereits gepackt.
    Birke ist allein im dem kleinen Haus. Der Schriftsteller Bendiner ist gestern mittag zu seiner Frau gefahren. Er wollte am Abend zurück sein. Birke hat deswegen die ganze Nacht das Licht vor dem Haus brennen lassen. Es brennt noch, als Birke herunterkommt. Sie schaltet es aus.
    Birke hat den Tisch für zwei Personen gedeckt. Sie wartet mit dem Frühstück. Aber es ist schon neun Uhr, und der Hausherr ist immer noch nicht zurück.
    Ihre Gedanken sind bei den letzten drei Wochen, die hinter ihr liegen. Wie soll es weitergehen? Das Geld hat sie der Bank zurückgezahlt. Sie wird morgen früh, am 6. Juli, ihren Dienst wieder antreten, als wäre nichts geschehen. Wirklich, als wäre nichts geschehen? Vielleicht wird sie den ganzen Vorfall erzählen müssen, wenn man sie fragt. Aber wird man ihr glauben?
    Herr Zanders wird sich am nächsten Tag nach seinen sechzigtausend Mark erkundigt haben, die man ihm ins Hotel bringen sollte. Man hat ihm seine Unterschrift gezeigt. Er hat ihre Echtheit bestritten. Aber dann ist eine Woche später das Geld wieder eingetroffen mit dem Vermerk: »Zur gefl. Gutschrift auf das Privatkonto Peter Zanders«.
    Vielleicht ist es zu spät eingetroffen. Vielleicht ist bereits eine Anzeige erfolgt, sicher ist eine Anzeige erfolgt, es ist gar nicht anders möglich. Graßmann wird sie in sein Büro bestellen, er wird gar nicht erst warten, bis sie ihren Platz am Schreibtisch wieder eingenommen hat.
    »Fräulein Schulz! Herr Direktor Graßmann erwartet Sie!«
    Alle werden ihr nachschauen, hinter ihr herflüstern.
    Die ganze Bank kennt den Vorfall.
    Direktor Graßmann wird nicht allein in seinem Zimmer sein. Ein paar Herren, die sie nicht kennt, werden hinter ihm stehen.
    »Hatten Sie einen angenehmen Urlaub?« wird Graßmann in seiner ironischen Art fragen.
    Sie wird keinen Ton hervorbringen. Sie wird die fremden Herren ansehen, jeden einzelnen, ob sie einen findet, der ein menschliches Gesicht hat, der ihr vielleicht glauben wird.
    »Wir haben Sie gesucht, Fräulein Schulz«, fährt Direktor Graßmann fort, »wir haben Sie drei Wochen lang gesucht.
    Wir hätten eine Auskunft von Ihnen gebraucht. An dem Urlaubsort, den Sie uns hinterlassen hatten, waren Sie jedenfalls nicht. Auch nicht im Hause Ihrer Frau Mutter.«
    »Ich habe eine Reise gemacht.«
    »Eine kostspielige Reise?«
    »Ich war in Wien.«
    »Ist Ihre neue Frisur auch aus Wien?«
    Richtig, das hat Birke total vergessen! An ihr verändertes Aussehen hat sie überhaupt nicht gedacht. Was soll sie tun? Heute ist Sonntag, morgen früh acht Uhr beginnt ihr Dienst in der Bank. Sie zuckt die Schultern. Kommt es darauf überhaupt noch an? Sie wird alles erzählen, alles, wie es sich zugetragen hat. Keiner wird ihr glauben. Aber selbst wenn man ihr glaubt, ist ihre Schuld deswegen geringer? Ist sie nicht mitgegangen? Hat sie die Sache angezeigt? Warum hat sie nicht geschrien? Sie überlegt, ob es nicht das beste wäre, überhaupt nicht zur Bank zu gehen. Irgendwo neu anzufangen. Sie hat noch Geld genug aus dem Gewinn in der Spielbank. Sie kann in eine fremde Stadt gehen, auch ins Ausland, sich einen neuen Posten suchen. Nachdem der Schaden wiedergutgemacht ist und sie das Geld zurückgeschickt hat, wird man sie im Ausland nicht weiter verfolgen. Aber vielleicht erwartet man sie schon heute abend in ihrer Wohnung.
    »Die Polizei hat schon dreimal nach Ihnen gefragt«, wird die Wirtin sagen.
    Sie hat der Wirtin nicht einmal eine Ansichtskarte von unterwegs geschrieben, das fällt ihr jetzt ein.
    »Sie sollen sich sofort auf dem Revier melden, wenn Sie heimkommen. Weshalb sucht Sie denn die Polizei? Sie wollten auch wissen, wohin Sie gereist sind. Wenn Sie mir wenigstens eine Ansichtskarte von unterwegs geschickt hätten! Unsereiner kümmert sich das ganze Jahr um Sie, übernimmt Ihre Post, wenn Sie nicht daheim sind, legt die Lichtrechnung und das Gas aus, aber vom Urlaub nicht einmal
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