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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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haben, die Gage nicht ausreicht, sich vollständig zu bekleiden. Während des Tanzes pflegen sie meist ihre Kleider auch noch zu schonen und abzulegen. Auch leichtgeschürzte Sängerinnen sind hier zu treffen, die ihre Schlagerliedchen zum besten geben. Der Preis für die Getränke ist hier meist doppelt so hoch wie in einer soliden Bar ohne Programm; hier aber erlebt man doch dies und jenes, was Zanders von seinen Gedanken an Birke ablenkt: wie die Tänzerinnen um die Gunst der wenigen männlichen Gäste buhlen, bis so ein Gast sie schließlich neben sich bittet und sie dann eine Lust am Trinken entwickeln, die man diesen jungen, zarten Persönchen gar nicht zugetraut hätte. Die sich dann später im Laufe des Gesprächs beim Kellner einen Salat bestellen — »Du hast doch nichts dagegen, Darling, wenn ich mir einen kleinen Salat bestelle?« — was hätte auch ein Mann dagegen, wenn die Bescheidene sich einen kleinen Salat bestellt, meinetwegen sogar einen Selleriesalat, der als teuerster auf der Karte steht, und dann bestellt sie sich beim Charly einen Hummersalat. »Aber bitte keine Langusten, ich möchte frischen Hummer!« Das gehört zu Zanders’ berühmten Erzählungen, wie er einmal darauf in jungen Jahren hereingefallen ist. Oder jene Dame hinter der Bar, die ihn nötigte, ihr eine Flasche Sekt zu bestellen, ein »Baby«, also ein Piccolo — und als sich Zanders dann mit dem Rücken zur Bar dem beginnenden Programm zuwendete, hörte er plötzlich hinter sich einen mächtigen Korken knallen, der auf einer Doppelflasche Magnum saß, und wie die Barfrau auf seinen Protest hin die Riesenflasche Champagner in ihren Armen wiegte wie ein Kind und sagte: »Das nennen wir hier ein Baby!«
    Solche Geschichten kann man nicht erfinden. Zanders hat sich damals darüber geärgert, heute weiß er längst, daß man immer runde hundert Mark an diesen Orten des Vergnügens läßt, auch wenn man nicht mehr davon hat als das Lachen über die eigene Dummheit.
    »Die Oase« ist leer, als Zanders die Bar betritt. Leer an Besuchern, nicht an jungen Mädchen, die sich hier als Taxigirls vermieten, zwanzig Schilling für den Tanz. Das sind kaum drei Mark, aber es handelt sich um bürgerliche Mädchen, wie aus den aufliegenden »Gebrauchsanweisungen für Taxigirls« hervorgeht: Verkäuferinnen, Modistinnen, Miedermacherinnen, Stenotypistinnen und Friseusen, die noch nie in einem Nachtlokal gearbeitet haben. Wer’s nicht glaubt, zahlt einen Taler, nämlich so viel, wie ein Nichttänzer hinlegen muß, wenn er eine dieser Tänzerinnen für eine halbe Stunde an seinen Tisch einlädt. So sind hier die gedruckten Gebräuche. Aber heute ist das Lokal leer, es wurde erst vor zwei Tagen neu eröffnet und ist noch nicht eingeführt, ein Fremdkörper in Wien. Zanders sitzt an der Bar und muß sich das Stöhnen der älteren Barfrau über den schlechten Besuch anhören. Er hat sich einen doppelten Whisky mit Eis bestellt, ohne Wasser. Er ist mit seinen Gedanken überall, nur nicht an der Bar. Er träumt von jener Gondel, die unter der Seufzerbrücke hindurchfuhr. Er ist am Strande von Juan les Pins und sieht eine rote Badejacke neben sich. Er lehrt ein junges Mädchen, eine Languste zu zerlegen, es ist doch alles erst wenige Tage her! Dann packt er wieder alte Ziegel in neue Koffer, gar nicht weit von hier, in der Mariahilfer Straße, fünf Straßenbahnstationen entfernt. Dann sitzt er im Kasino von Monte Carlo, und sie zählen neben einer Flasche Veuve Cliquot die roten, weißen, grünen und gelben Jetons, er sieht Birkes erstaunte Augen, ihre Freude, wie sie ihm zutrinkt...
    »Woran denken Sie?« fragt die Barfrau ihren schweigsamen Gast.
    »An französischen Champagner.«
    Die Barfrau wird hellwach.
    Sie schiebt die Champagnerkarte dem Gast hinüber.
    Der Gast schiebt sie zurück.
    »Ich habe ihn bereits getrunken.«
    »War kein Glas für mich darin?«
    »Doch«, sagt Zanders.
    »Darf ich uns eine Flasche bestellen?«
    »Nein«, sagt Zanders. »Ein Glas.«
    »Französischen Champagner gibt es bei uns nur in Flaschen.«
    »Dann muß die Flasche leider zubleiben.«
    Die Barfrau ist eingeschnappt.
    Man hört es geradezu.
    »Haben Sie wenigstens eine Zigarette für mich?«
    Zanders reicht ihr stumm seine goldene Tabatiere über die Bar.
    »Echt?« fragt die Barfrau.
    »Nein. Talmi.«
    »Drum!« sagt die Barfrau.

    Es klingt sehr unwienerisch. Sie war auch nicht aus Wien.
    Der Himmel hat sich bezogen. Vom Westen her steigt ein Gewitter auf.
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