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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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heimtückischen Längsrinnen lenken ihn von der Spur ab. Er beschleunigt sein Tempo, der Wagen hat eine einmalige Straßenlage, bricht in keiner Situation aus, zweihundert macht er auf der Geraden, dabei sieht man dem Wagen nicht an, was in ihm steckt.
    Hundert Runden hat Zanders gedreht, acht Kilometer ist die Versuchsbahn lang, an beiden Enden überhöhte Kurven, in ihrer obersten Lage fast senkrecht. Zanders holt einen Schnitt von fast 150 heraus, der Chefingenieur des Werkes beglückwünscht ihn. Sie essen in der Kantine des Werkes. Zanders im Räuberzivil, wie er vom Wagen kommt, ein wenig nervös, er will das alles schnell hinter sich bringen. Er hat keine Ruhe, er muß Birke Wiedersehen, ehe ihr Urlaub zu Ende geht.
    »Wollen Sie nicht lieber erst morgen...?« fragt der Chefingenieur.
    »Nein. Ich starte sofort nach dem Essen. Linz ist keine Entfernung für diesen Wagen. Zweimal zweihundert Kilometer. Ich bin in drei Stunden zurück, spätestens in vier, wenn viel Verkehr auf der Straße ist. Ich will heute noch den Nachtexpreß bekommen.«
    »Meine Frau hatte gehofft, Sie heute abend bei uns zu sehen — wir haben ein paar Freunde gebeten, unter anderen die Gräfin Schönberg mit ihrem Mann —, meine Frau würde sich sehr freuen.«
    »Entschuldigen Sie mich bitte bei ihr. Wir holen das nach. Auf meiner Hochzeitsreise.«
    Der Chefingenieur blickt überrascht auf.
    »Haben Sie ernstlich vor, zu heiraten?« fragt er.
    Zanders lacht.
    »Ich habe es vor, aber ob sie ja sagt — sie weiß es noch nicht.«
    Es ist drei Uhr. Die Rathausuhr von St. Pölten zeigt genau vier Minuten nach drei, als Zanders über den Marktplatz fährt. Er hat bewußt die Strecke der Autobahn Wien—Linz vermieden und fährt auf der alten Bundesstraße, die Wien mit Linz verbindet. Er will den Wagen im Alltags verkehr ausprobieren, bei Umleitungen, Bahnübergängen; hinter Lastwagen her, die in langen Reihen, oft fünf, sechs ohne Abstand, hintereinander fahren, wo der Motor zeigen muß, was er beim schnellen Überholen zu leisten vermag. Es ist eine kurvenreiche Strecke, oft ansteigend und wieder abfallend, durch Dörfer und kleine Orte hindurch, wo er das Tempo mäßigen muß, auf Fußgänger und unübersichtliche Ausfahrten achtend. Von der hochgelegenen Straße bei Melk sieht er das Benediktinerstift in der Sonne liegen, eines der prächtigsten Barockbauwerke der Welt, in seiner unvergleichlichen Größe und Lage auf einem steilen Felsrücken, keine sechzig Meter über der Donau.
    Hinter Enns biegt er nach Linz ein, 97 gestoppte Minuten, er fährt in Linz die lange Landstraße hinunter bis zum Hauptplatz, biegt in die Promenade ein und parkt seinen Wagen dem Landestheater gegenüber, um im Cafe Traxelmayr einen kleinen Schwarzen zu trinken, ein Kipferl hinunterzuschlingen, genau eine Zigarettenminute lang, dann schwingt er sich wieder in seinen Wagen, und zurück geht die Fahrt über Mauthausen, Enns und Amstetten.
    In Amstetten, der Stadt an der Ybbs, am Rande des flachen Ybbsfeldes gelegen, wird Zanders kurz vor dem Bahnhof von einem Tankwagen auf gehalten, der sich mit einem noch breiteren entgegenkommenden Tankwagen verklemmt hat. Ein Vorbeikommen ist unmöglich. Zanders läßt seinen Wagen zurückrollen, lenkt ihn nach rechts in eine kurze Querstraße, biegt nach links ab und ein zweites Mal nach links, bis er wieder auf der großen Bundesstraße nach Wien ist. Er fährt ziemlich schnell durch das Ortsende, eine baumbesetzte Allee mit nur wenigen Häusern.
    Im Augenblick herrscht wenig Verkehr, die Straße liegt frei vor ihm, da erblickt er vor sich auf der linken Straßenseite ein ungefähr zehnjähriges Mädchen, das einen kleinen Jungen an der Hand führt und sich anschickt, die Straße zu überqueren. Jede Gefahr, die man rechtzeitig erkennt, ist für einen guten Autofahrer bereits keine Gefahr mehr. Zanders drosselt seine Fahrt, die beiden Kinder haben bereits die Mitte der Fahrbahn erreicht, er fährt langsam weiter. Das zehnjährige Mädchen bleibt mitten auf der Straße stehen, sie hat den Wagen gesehen, und es hat nach ihrem Verhalten den Anschein, als wolle sie den Wagen vorbeilassen, zumal sie zu ihm hinblickt.
    Zanders gibt etwas Gas, um vorbeizurollen, beschleunigt, schaltet; in diesem Moment reißt sich der Dreijährige von der Hand der Schwester los und läuft über die rechte Fahrbahn. Die Schwester schreit auf.
    »Dominik! Hierbleiben!« Durch diesen Schrei erschreckt, bleibt der Dreijährige, der bereits den
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