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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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Birke flüchtet aus dem Wasser und eilt auf die kleine Holzbank am Ufer neben dem See zu, wo Adam Bendiner auf sie wartet.
    »Gehen wir schnell nach Hause«, sagt er.
    Sie eilen über den schmalen ausgetretenen Weg am Rande des Steinbruchs zu dem kleinen Haus des Ehepaares Bendiner. Kaum sind sie unter Dach, öffnet der Himmel seine Schleusen. Der Schriftsteller Bendiner sagt es wörtlich.
    »Schreiben dürfte man so etwas nicht«, verbessert er sich. »Dabei ist es so überaus plastisch: Der Himmel öffnet seine Schleusen! Aber das will kein Mensch mehr lesen. Wenn es in meinen Geschichten regnet, dann schreibe ich: es regnet.«
    Birke lacht, und sie treten ins Haus, durch die Zimmertür mit den Kerben, mit denen das Schriftstellerehepaar einmal das Heranwachsen ihres einzigen Kindes aufzeichnete.
    »Ich koche uns jetzt einen Kaffee, und du ziehst dich oben im Zimmer meiner Frau um, Birke«, sagt Adam.
    Birke eilt die schmale, steile Stiege hinauf. Sie bewohnt das eheliche Schlafzimmer allein. Seitdem sie hier angekommen ist, vor drei Tagen. Adam ist hinuntergezogen und schläft im Wohnzimmer auf der Couch.
    Das Schlafzimmer ist nicht sehr gemütlich, vor allem jetzt, wo Birke aus der großen Welt kommt. Viele Fotografien hängen an den Wänden, wie Sarah sie hingehängt hat. Auf einem Regal die unbenutzten Spielzeuge ihres erwarteten Enkelkindes, in der Ecke neben dem Fenster der zerbeulte Puppenwagen ihres einzigen Kindes Klara.
    »Kommst du?« ruft Adam von unten.
    »In einer Sekunde!«
    Sie trägt wieder ihr helles Sommerkleid. Als sie beim Kaffee sitzen und die frischen Semmeln essen, die heute mittag Birke aus dem Dorf geholt hat, fragt sie:
    »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wo deine Frau ist?«
    »Sie ist verreist.«
    »Jetzt? Im Hochsommer? Wo das Obst zum Einkochen anfällt und das Gemüse?«
    »Es kam ganz plötzlich.«
    »Wann kommt sie zurück?«
    »Vielleicht dauert es sehr lange — ich weiß es nicht.«
    »Ist sie bei Verwandten?«
    »Nein«, sagt Adam, und man sieht ihm an, daß ihm die Beantwortung der Frage sehr schwerfällt, »es hat keinen Sinn, wenn ich es dir länger verheimliche — sie ist in einer Heilanstalt.«
    »In einer Heilanstalt?« fragt Birke erschrocken.
    »Es gab keine andere Möglichkeit. Ich habe alles vertuscht, so lange es ging. Aber eines Tages, kurz nach deinem letzten Besuch, hat sie versucht, das Haus anzuzünden. Sie fehlt mir sehr.«
    Was soll Birke darauf antworten? Sie weiß, jedes Wort ist nutzlos.
    »Warum hast du es mir nicht gleich am Anfang erzählt, als ich ankam?« fragt sie.
    »Warum sollte ich dich damit belasten? Du kamst vom Urlaub.«
    »Ja. Ich kam vom Urlaub. Ich war am Meer.«
    »Manchen Menschen bekommt offenbar der Klimawechsel nicht. Wenigstens sahst du so aus, als ob du nach deinem Urlaub noch einen Urlaub brauchtest.«
    Birke versucht zu scherzen.
    »Das geht heute vielen Menschen so. Darum bin ich froh, daß ich den Rest meines Urlaubs bei euch verleben darf.«
    »Bei mir.«
    »Bei dir«, sagt Birke.
    Adam sieht sie lange an, die Hände um seine Kaffeetasse gelegt.
    Dann sagt er:
    »Manchmal tut es gut, sich die Dinge vom Herzen herunterzureden.«
    »Das hat keinen Zweck«, sagt Birke leise.
    Adam fragt sie nicht weiter.
    Dann sagt Birke von selbst:
    »Ich habe eine große Dummheit gemacht.«
    »Verliebt in einen, der nichts taugt?«
    »Woher weißt du das?«
    »Weil das eine alte Geschichte ist, die sich immer wiederholt.«
    »Das ist es nicht allein.«
    »Was noch?«
    »Ich habe ein Verbrechen begangen.«
    »Ein Verbrechen?«
    »Ich habe bei der Bank Geld unterschlagen.«
    »Um Gottes willen, Kind!«
    Birke sagt:
    »Ich habe das Geld zurückgeschickt. Heute mittag, als ich im Dorf die Semmeln holte, bin ich auf das Postamt gegangen und habe das Geld an die Bank eingezahlt. Ohne Absender. Der Beamte wollte es nicht zulassen, wegen des hohen Betrages. Da habe ich einen fremden Namen geschrieben.«
    Adam ist völlig außer sich.
    »Das nützt doch nichts. Wenn sie den Verlust des Geldes bereits entdeckt haben...«
    Birke sagt:
    »Ich habe eine winzige Chance, daß sie es noch nicht entdeckt haben.«
    In Wien hat Zanders die Testfahrt über die Rennstrecken der Steyr-Werke hinter sich. Der neue Wagen läuft großartig. Er überfliegt die Hindernisse der Schotterbahn, als ob die Straßenlöcher und künstlichen Frostaufbrüche überhaupt nicht vorhanden wären. Die schlüpfrigen, quergelegten Rundholzbrücken, die Kanthölzer, nicht einmal die
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