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Voll im Bilde

Voll im Bilde

Titel: Voll im Bilde
Autoren: Terry Pratchett
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S eht nur…
    Dies ist der Weltraum. Manchmal wird er auch als letzte Grenze bezeichnet.
    (Obwohl es natürlich keine letzte Grenze geben kann, denn dahinter befände sich gar nichts, und deshalb wäre eine solche Grenze völlig sinnlos. Nennen wir’s also eine vorletzte Grenze…)
    Vor dem kosmischen Gemälde aus Sternen und Nebeln auf schwarzem Grund hängt ein roter Riese und glüht wie göttlicher Wahnsinn…
    Dann zeigt sich das Glühen als Funkeln in einem riesigen Auge, und die Dunkelheit bewegt einen flossenförmigen Fuß, und die Sternenschildkröte Groß-A’Tuin schwimmt durchs Nichts.
    Auf ihrem Rücken stehen vier gewaltige Elefanten. Und auf deren Rücken ruht die Scheibenwelt, Spiegel aller Welten. Das Wasser an ihrem Rand schimmert im Licht einer winzigen orbitalen Sonne, während sich die Scheibe majestätisch um die hohen Berge in ihrem eisumhüllten Zentrum dreht.
    Sie erscheint fast unwirklich.
    Die Wirklichkeit ist nicht digital und funktioniert nicht nach dem Ein-Aus-Prinzip. Sie ist vielmehr analog und stellt etwas Fließendes dar. Anders ausgedrückt: Die Dinge besitzen Wirklichkeit als Eigenschaft so wie, na ja, Gewicht. Um ein Beispiel zu nennen: Gewisse Personen sind wirklicher als andere. Man schätzt, daß es auf jedem beliebigen Planeten nur etwa fünfhundert wirkliche Personen gibt kein Wunder, daß sie sehr überrascht sind, weil sie sich dauernd über den Weg laufen.
    Die Scheibenwelt ist so unwirklich, wie sie nur sein kann. Gleichzeitig hat sie sich gerade genug Wirklichkeit bewahrt, um zu existieren.
    Doch sie ist wirklich genug, um wirklich in Schwierigkeiten zu stecken.
    Etwa dreißig Meilen drehwärts von Ankh-Morpork donnerte die Brandung an eine windumtoste Landzunge, die nur aus wogendem Seegras und langen Sanddünen zu bestehen schien. Sie erstreckte sich dort, wo das Runde Meer in den Randozean überging.
    Den Hügel konnte man über viele Meilen hinweg sehen. Er war nicht besonders hoch und lag wie ein umgedrehtes Boot oder ein gestrandeter Wal zwischen den Dünen. Dort wuchsen nur verkrüppelte Bäume. Der Regen vermied es, an dieser Stelle zu fallen. Zwar gab der Wind den nahen Dünen immer neue Formen, doch auf der Kuppe des Hügels herrschte ewige laute Stille.
    Über Jahrhunderte hinweg hatte sich hier nur der Sand verändert.
    Bis jetzt.
    Eine primitive Hütte aus Treibholz war auf dem langen, bogenförmigen Strand erbaut worden, obgleich das Wort »erbaut« einer Beleidigung aller Architekten primitiver Hütten gleichkam. Wenn man es dem Meer überlassen hätte, einen Haufen aus Treibholz zu bilden, so wäre das Ergebnis vielleicht besser gewesen.
    Im Innern der Hütte war gerade ein alter Mann gestorben.
    »Oh«, sagte er, öffnete die Augen und blickte sich um. Zum erstenmal seit zehn Jahren konnte er wieder ganz deutlich sehen.
    Er schwang nicht seine Beine, sondern die Erinnerung daran über den Rand der aus Heidekraut bestehenden Pritsche und stand auf. Anschließend trat er nach draußen, in den diamantklaren Morgen. Interessiert stellte er fest, daß er noch immer den geisterhaften Schatten eines Zeremonienumhangs trug, obwohl er tot war. Der Talar mochte fleckig und an vielen Stellen zerfranst sein, aber es ließ sich noch immer erkennen, daß er einst aus rotem Plüsch mit goldenem Schnurbesatz bestanden hatte. Entweder stirbt die Kleidung ebenfalls und begleitet ihren Träger in den Tod, oder man zieht sich auch im Jenseits an, aus reiner Gewohnheit, dachte er.
    Eine weitere Gewohnheit veranlaßte ihn dazu, sich dem Treibholzstapel neben der Hütte zu nähern. Als er nach einigen Stücken greifen wollte, glitten seine Hände hindurch.
    Er fluchte.
    Dann bemerkte er eine Gestalt, die am Wasser stand und übers Meer starrte. Sie stützte sich auf eine Sense, und der Wind zerrte an ihrem schwarzen Mantel.
    Er humpelte ihr entgegen, erinnerte sich plötzlich daran, tot zu sein – und ging mit langen, gemessenen Schritten. Seit Jahrzehnten war er nicht mehr mit langen, gemessenen Schritten gegangen, doch nun fiel es ihm überhaupt nicht schwer. Erstaunlich.
    Auf halbem Wege zu der dunklen Gestalt hörte er ihre Stimme.
    DECCAN RIBOBE, sagte sie.
    »Das bin ich.«
    LETZTER HÜTER DER TÜR.
    »Nun, ich glaube schon.«
    Der Tod zögerte.
    ENTWEDER BIST DU ES, ODER DU BIST ES NICHT, sagte er.
    Deccan kratzte sich an der Nase. Natürlich, dachte er. Man muß in der Lage sein, sich selbst zu berühren. Sonst fiele man einfach auseinander.
    »Eigentlich sollte der
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