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Geliebter Boss

Geliebter Boss

Titel: Geliebter Boss
Autoren: Jo Hanns Roesler
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Zeit zur Flucht zu gewinnen, damit er es nicht sofort entdeckt, daß sie das Geld an sich genommen hat, um es der Bank zurückzubringen. Vielleicht wird man ihr dann verzeihen, aber anstellen wird man sie nicht mehr, sie wird sich einen anderen Posten suchen müssen. Aber ohne Zeugnis? Man wird überall ein Zeugnis verlangen, außer wenn sie als Hausmädchen geht oder als Putzfrau oder als Arbeiterin in eine Fabrik. An das alles hat sie bis jetzt nicht gedacht, jetzt fällt es ihr erst ein, was sie ihrem sogenannten Boß verdankt, weil sie damals nicht geschrien und sich nicht zur Wehr gesetzt hat, daß sie völlig den Verstand verloren hat und mit ihm gefahren ist, nach Wien, nach Venedig, nach Nizza.
    Sie haßt diesen Mann, dem sie verdankt, daß ihr Leben zerstört ist, der sich geweigert hat, noch jetzt, als ihnen dieser traumhafte Gewinn in den Schoß fiel, das gestohlene Geld zurückzugeben, was alles hätte wiedergutmachen können; sie hätte bei ihm bleiben können, auch wenn er sie nicht geheiratet hätte, er muß es doch heute nacht gemerkt haben, bestimmt hat er es gemerkt, wie sie ihn liebt, diesen Schuft, dieses Greisenhaupt, dieses widerliche Greisenhaupt, das nur ans Blühen denkt, so dick, daß es fünf Männer mit ihren Armen nicht umfangen können... das sich jetzt zu ihr beugt und ihr die Handtasche entreißen will, die Handtasche mit den sechzigtausend Mark...
    Mit einem Schrei fährt sie aus ihrem Halbschlaf hoch, wischt sich den häßlichen Traum von der Stirn. Sie ist noch immer allein im Abteil und hält die Tasche mit dem Geld ängstlich in ihrer Hand.
    Sie trägt das gleiche Kleid, das sie an jenem Abend in der Bank anhatte, als sie dem Mann mit den Blue jeans und dem roten Bart zum erstenmal begegnete. Sie hat nicht einmal eine Fahrkarte. So wie sie auf den Bahnhof gekommen ist, ist sie eingestiegen.
    Als der Schaffner kommt, nimmt sie eine Fahrkarte bis Genua. An der Grenze fragt man sie nicht, ob sie etwas zu verzollen habe. Sie sitzt in ihrer Ecke wie ein Häuflein Unglück und ist froh, ihren Paß ohne Zwischenfall zurückzubekommen.
    Der Grenzpolizist, der ihren Paß geprüft hat, kommt noch einmal zurück.
    »Sie sind Deutsche?« fragt er.
    Birke bringt keine Antwort heraus.
    »Aus München?«
    »Ja.«
    »Darf ich noch einmal Ihren Paß sehen?«
    Sie holt den Paß aus ihrer Tasche und reicht ihn dem italienischen Beamten. Er blickt hinein und hält den offenen Paß in seiner Hand.
    »Sie heißen Schulz?«
    »Ja«, sagt Birke tonlos.
    »Da war doch etwas mit dem Namen. Schulz? Schulz?« Er denkt nach, dann fragt er: »Sind Sie bei einer Bank angestellt?«
    »Ja«, stottert Birke.
    Alles Blut ist aus ihrem Gesicht gewichen.
    »Dann sind Sie die Schwester des vorjährigen Münchner Faschingsprinzen Schulz? Ich habe ihn in Bozen getroffen. Er hat mir von seiner Schwester erzählt. Sie ist bei einer Bank angestellt und soll sehr hübsch sein.«
    »Nein«, sagt Birke. »Der Faschingsprinz hieß übrigens Schulze.«
    Der Beamte lächelt.
    »Ich weiß es. Es war auch nur eine Ausrede, um Ihnen ein Kompliment zu machen.«
    Er reicht ihr den Paß zurück.
    »Bleiben Sie in Italien? Wenigstens für einige Zeit?«
    »Nein. Ich fahre sofort weiter.«
    »Bedauerlich für Italien! Ich hätte Ihnen gern heute abend Genua gezeigt.«
    Birke ist es jetzt wesentlich wohler in ihrer Haut.
    »Ich hätte mir auch gern Genua von Ihnen zeigen lassen.“
    »Es ist noch nicht zu spät.«
    »Für mich ist es leider zu spät.«
    »Vielleicht, wenn Sie das nächstemal nach Italien kommen?«
    Beide lachen. Der italienische Grenzpolizist nimmt ein Edelweiß von seiner Mütze und reicht es ihr.
    »Zur Erinnerung!« sagt er und salutiert.
    »Ich werde es gut aufheben.«
    Dann fügt Birke, noch durchgedreht von der überstandenen Angst, übermütig hinzu:
    »Ich fürchtete schon, Sie wollten mich verhaften.«
    »Ich täte es mit dem größten Vergnügen. Nur müßten Sie mir einen Grund dazu liefern. Schmuggel oder einen gefälschten Paß. Oder wenn Interpol Sie sucht.«
    »Und wen sucht die Interpol?«
    »Geldfälscher, Bankräuber, Defraudanten.«
    »Damit kann ich Ihnen leider nicht dienen«, sagt Birke und lacht.
    Der Italiener legt die Hand an seine Mütze.
    »Ich sagte schon: Bedauerlich für Italien!«
    Und fügt hinzu:
    »Und für mich!«

    In Genua muß Zanders umsteigen. Er ist mit dem Flugzeug von Nizza herübergeflogen und hat einen Platz in der Maschine Genua—Wien gebucht. Er muß am Zollhafen vorbei,
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