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Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)

Titel: Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Autoren: Orlando FIGES
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Einleitung
    In der Pfarrkirche von Witchampton in Dorset steht ein Ehrenmal für fünf Soldaten aus diesem friedlichen Dörfchen, die im Krimkrieg kämpften und starben. Die Inschrift lautet:
    SIE STARBEN IM DIENST IHRES LANDES. IHRE KÖRPER SIND AUF DER KRIM. MÖGEN IHRE SEELEN IN FRIEDEN RUHEN. MDCCCLIV
    Auf dem Gemeindefriedhof von Héricourt in Südostfrankreich gibt es einen Grabstein mit den Namen der neun Männer aus der Gegend, die auf der Krim fielen:
    ILS SONT MORTS POUR LA PATRIE.
    AMIS, NOUS NOUS REVERRONS UN JOUR
    Am Fuß des Denkmals hat jemand zwei Kanonenkugeln platziert, eine mit dem Namen der »Malakoff« (Malachow)-Bastion, welche die Franzosen bei der Belagerung von Sewastopol, der russischen Flottenbasis auf der Krim, einnahmen, die andere mit dem Namen »Sebastopol«. Tausende von französischen und britischen Soldaten liegen in nicht markierten und seit langem vernachlässigten Gräbern auf der Krim.
    In Sewastopol selbst stehen Hunderte von Ehrenmalen, viele von ihnen auf dem Soldatenfriedhof ( bratskoje kladbischtsche ), einem von drei riesigen Gräberfeldern, welche die Russen während der Belagerung anlegten; dort ist die unglaubliche Zahl von 127583 Mann begraben, die bei der Verteidigung der Stadt umkamen. Die Offiziere haben individuelle Gräber mit ihren Namen und Regimentsbezeichnungen, doch die gemeinen Soldaten sind in Massengräbern für fünfzig oder hundert Mann beigesetzt. Zwischen den Russen liegen Soldaten aus Serbien, Bulgarien und Griechenland, ihre Glaubensbrüder in der Ostkirche, die dem Appell des Zaren, der die Rechtgläubigen zur Verteidigung ihrer Religion aufgefordert hatte, gefolgt waren.
    Das Ehrenmal in Héricourt
    Eine kleine Plakette, kaum sichtbar in dem hohen Gras, unter dem fünfzehn Seeleute begraben sind, dient dem Gedenken an ihr »heldenhaftes Opfer während der Verteidigung von Sewastopol 1854–55«:
    SIE STARBEN FÜR IHR VATERLAND,
    FÜR DEN ZAREN UND FÜR GOTT
    Anderswo in Sewastopol gibt es »ewige Flammen« und Monumente für die unbekannten und ungezählten Soldaten, die im Kampf für die Stadt fielen. Man schätzt, dass eine Viertelmillion russische Soldaten, Matrosen und Zivilisten in Massengräbern auf den drei Militärfriedhöfen von Sewastopol ruhen. 1
    Zwei Weltkriege haben die gewaltige Dimension und die enormen Kosten an Menschenleben des Krimkriegs überschattet. Heute erscheint er uns als relativ unbedeutender Krieg; er ist fast vergessen, ebenso wie die Tafeln und Grabsteine auf jenen Friedhöfen. Nicht einmal in den Ländern, die an ihm teilnahmen (Russland, Großbritannien, Frankreich, Piemont-Sardinien in Italien und das Osmanische Reich einschließlich jener Gebiete, die später Rumänien und Bulgarien bilden sollten), dürften viele Bürger wissen, worum es im Krimkrieg ging. Für unsere Vorfahren in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war dies jedoch der größte Konflikt des 19. Jahrhunderts, der wichtigste Krieg zu ihren Lebzeiten, genau wie die Weltkriege des 20. Jahrhunderts für uns die vorherrschenden historischen Bezugspunkte darstellen.
    Die Verluste waren gewaltig. Mindestens eine Dreiviertelmillion Soldaten wurden in der Schlacht oder durch Krankheiten und Seuchen getötet, zwei Drittel davon Russen. Die Franzosen verloren rund 100000 Mann, die Briten nur einen Bruchteil jener Zahl, ungefähr 20000, da sie viel weniger Truppen entsandt hatten (98000 britische Soldaten und Matrosen wurden auf der Krim eingesetzt, verglichen mit 310000 Franzosen). Gleichwohl war der Verlust von fünf kräftigen Männern für eine kleine Agrargemeinde wie Witchampton ein schwerer Schlag. In den Pfarrbezirken Whitegate, Aghada und Farsid in County Cork in Irland, wo die britische Armee viele Soldaten rekrutierte, starb fast ein Drittel der männlichen Bevölkerung im Krimkrieg. 2
    Niemand hat die Toten der Zivilbevölkerung gezählt: die Opfer der Bombardierungen, die in belagerten Städten verhungerten Menschen, die durch Krankheiten, verbreitet von den Heeren, dezimierten Bevölkerungen, die Gemeinschaften, ausgelöscht durch Massaker und organisierte »ethnische Säuberungen«, welche die Kämpfe im Kaukasus, auf dem Balkan und auf der Krim begleiteten. Dies war der erste »totale Krieg«: eine sich im 19. Jahrhundert abspielende Version der Kriege unseres eigenen Zeitalters, die Zivilisten einbeziehen und humanitäre Krisen mit sich bringen.
    Zudem war es das erste Beispiel eines wahrhaft modernen Krieges: ausgefochten mit neuen
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