Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr
Autoren: Leo Sander
Vom Netzwerk:
und begann von vorn. »Ich meine, er hat einen komplizierten Splitterbruch des Knöchels mit Bänderrissen. Er ist gestern noch einmal operiert worden.« Sie sah auf eine kleine Uhr an ihrer Handinnenseite. »In ein paar Minuten beginnt die Visite. Der Oberarzt kann Ihnen eine Prognose geben.«
    Ich bedankte mich herzlich. »Falls Operationen anstehen, die noch nie jemand gemacht hat«, sagte ich und grinste, »können Sie Herrn Smirnik ja zum Üben nehmen.«
    Sie lachte schallend. »Das müssen Sie mir unterschreiben.« Sie sah mich amüsiert und neugierig an.
    »Jederzeit«, sagte ich. »Darf ich ihn kurz besuchen?«
    »Besuchszeit ist erst in einer Stunde. Aber gehen Sie ruhig.« Sie winkte mich weiter, wie ein Verkehrspolizist.
    Unfallchirurgie, Zimmer 405, hatte der Portier gesagt. Im Türschild steckten handgeschriebene Papierstreifen. Smirnik, Georg. Ich prüfte beide Flurseiten auf mögliche Störquellen. Ein Arzt rannte vorbei und verschwand in einem Zimmer. Vielleicht war’s auch nur ein diplomierter Gesundheits- und Krankenbruder. Dann war die Luft rein.
    Ich klopfte, riss die Tür auf und rief: »Hallo, hallo, wie geht es uns heute?« Ich schwenkte den Blumenstrauß und stürmte ins Krankenzimmer. Smirnik lag an der Fensterseite und döste. Ein weiteres Bett war frisch gemacht und unberührt, ein drittes zerwühlt, aber ohne Patient. Ich öffnete die Badezimmertür und sah schnell hinein. Leer. Keine Zuhörer. Das Zimmer war hell und freundlich. Ich öffnete das Fenster und genoss erleichtert die Frühlingsluft, die den abgestandenen Dunst verdrängte. In einem kleinen Park zwischen den Krankenhausgebäuden spazierten Menschen.
    Ich stellte mich ans Fußende und sah auf Smirnik herab, wie auf ein offenes Grab. Er lag auf dem Rücken und war zugedeckt. Nur sein defektes Bein war in einen monströsen Verband gehüllt und ruhte auf einer Schaumstoffunterlage. Ein Schlauch führte aus den Bandagen und mündete in ein transparentes Kunststoffsäckchen, das am Bett aufgehängt war. Blut tropfte langsam hinein. Über ihm baumelte eine Infusionsflasche an einer Plastikhalterung. Ein Gipsverband bedeckte seine Nase. Um die Augen war er angeschwollen, die unrasierten Wangen hingegen wirkten eingefallen. Seine Fettlocken waren auf dem Kopfkissen drapiert. Auf dem Nachtkästchen lag ein Gratisblatt, aufgeschlagen auf der Seite mit der Nackten, sowie eine zerknitterte Kronenzeitung. In einem Kreuzworträtsel war ein einziges Wort eingetragen.
    »Hallo, Schorschi«, sagte ich laut.
    Er öffnete seine Augen und zuckte zusammen. »He«, sagte er und schluckte ein paarmal trocken. »Ich kenne Sie. Sie waren das. Mein Auto haben Sie auch ruiniert. Und die Nase gebrochen.« Er versuchte, nach hinten wegzurobben. »Mein Auto. Meine Nase«, wiederholte er heiser.
    »Hoher Wiedererkennungswert, was?«, sagte ich. »Ich sollte in die Werbung gehen.«
    Mit einem Schritt war ich neben dem Bett und hängte den Ruftaster außer Reichweite. Smirnik griff ins Leere. »Ich bin ja da«, sagte ich. »Die Polizei interessiert das nicht so recht, was du alles im Suff anstellst, was?« Ich trat mit halber Kraft gegen sein bandagiertes Bein, damit er mir nicht einschlief.
    Smirnik riss den Mund weit auf und japste fast lautlos. Das schien seiner Nase wiederum nicht so gut zu tun. Sein Oberkörper bäumte sich nach hinten, er krallte sich mit den Fingern in die Bettwäsche und wurde noch bleicher. Ich hatte Mühe, sein Gesicht vom Kopfkissen zu unterscheiden. So ein Chamäleon.
    Am Fenster standen zwei leere Vasen. Ich nahm eine und wässerte meinen Alibistrauß ein, während sich Smirnik wieder erholte. »Keine Angst«, rief ich ihm aus dem Bad zu, während das Wasser plätscherte. »Das hier ist nach ein paar Monaten Reha wieder gut.«
    »Was wollen Sie von mir?«, flüsterte er.
    »Dreierlei«, sagte ich und bezog wieder meine Position vor dem Bett.
    Mit weit aufgerissenen Augen sah er zur Tür und wieder zu mir. »Was?«
    Ich zählte langsam an den Fingern ab: »Vera Winkler in Ruhe lassen. Schadenersatz zahlen. Eine Therapie machen.«
    »Und damit meine ich nicht deinen Klumpfuß da«, sagte ich.
    »Was hat die dumme Kuh  … », begann er. »Und für was soll ich überhaupt Schadenersatz zahlen?«
    »Für den Polo von der Winkler Vera, du Schwachkopf«, sagte ich. »Scheiben, Reifen. Schon vergessen?« Ach ja, die Katze. Ich trat ihn noch einmal. Die Schaumstoffunterlage fiel zu Boden. »Reiß dich zusammen, sonst mache ich dein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher