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Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr
Autoren: Leo Sander
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war fast so groß wie ich, hatte aber mindestens den doppelten Umfang und roch nach Bier.
    »Ich werd dir helfen, Burscherl«, presste er heiser hervor. Sein mit roten Bartstoppeln bedecktes Doppelkinn zitterte. Er trug einen goldenen Ohrring und flauschige Koteletten. Obwohl er noch gar nicht Hand an mich gelegt hatte, schwitzte er bereits.
    Der Cafébesitzer hatte sich in den hintersten Winkel zu den Schnapsflaschen zurückgezogen. »Nicht gegen die Bar, Werner«, rief er.
    Werner griff nach mir und holte mit dem Fuß aus.
    Ich machte einen Schritt zur Seite und trat von hinten in die Kniekehle seines Standbeins. Gleichzeitig stieß ich ihn mit beiden Händen unter seiner rechten Achsel von mir weg. Ich legte mein ganzes Gewicht in den Stoß. Er fiel um wie ein Sendemast, dessen Abspannseile gekappt worden waren. Sein Kopf krachte wuchtig gegen einen Aschenbecher auf einer Tischecke. Samt Zuckerstreuer und Tisch schlug er auf dem Boden auf und blieb reglos liegen. Noninvasiv.
    Der Cafébesitzer riss die Augen auf. Die Kellnerin ließ ihr Handy fallen. Beide starrten.
    Ich vergewisserte mich, dass niemand plötzlich eine Schrotflinte in der Hand hielt und beugte mich zu Werner. Er war bewusstlos, atmete aber. Aus dem Hosenbund seiner akkordeonfaltigen Jeans ragte der Griff einer Stahlrute. Ich steckte sie ein und durchsuchte ihn. Keine weiteren Waffen. Ich ging zum Cafébesitzer und lehnte mich auf die Theke. »Nicht gerade eine Spitzenkraft«, sagte ich. »Warum haben Sie mich angerufen?«
    Er blickte von mir zu Werner und schluckte. »Ja, ich weiß nicht. Wer sind Sie überhaupt?«
    Die Kellnerin leerte Eiswürfel auf ein Küchentuch und drehte es mit geübten Bewegungen zu einem Beutel. Dann hockte sie sich auf den brandlochübersäten Filzboden und drückte Werner das Eis gegen den Kopf. Reine Routine.
    »Mein Name ist Kant.«
    »Ich habe Sie nicht angerufen«, sagte er.
    »Richter«, sagte ich.
    In seinen Augen leuchtete Erkennen. »Ah soo  … «, sagte er gedehnt. »Sind Sie verwandt mit dem?«
    »Nein. Ich wohne jetzt in seiner Wohnung, weil er ja herausgestorben ist. Ich bin nur neugierig.«
    »Ja, dann.« Er wirkte erleichtert, aber unsicher.
    Ich zog meine Augenbrauen hoch und machte beschleunigende Bewegungen mit einer Hand.
    »Naja, die Sache ist die  … « Er sah an mir vorbei, ob nicht Werner schon wieder einsatzbereit war.
    Der schnaufte und stöhnte. Die Kellnerin warf mir anklagende Blicke zu.
    »Ja?«, sagte ich und richtete mich auf. Nicht bedrohlich, aber bereit.
    »Der Richter war oft hier«, sagte der Cafébesitzer schnell. »Und dann habe ich auf einmal seine Todesanzeige in der Zeitung gelesen.«
    »Besser als der Sportteil, was?«, sagte ich und schob meinen grauslichen Espresso weg.
    »Ja. Nein. Ab und zu probier ich halt, dass ich Hinterbliebene anrufe und schau, ob da was geht.«
    »Ob was geht?«
    »Ja wegen Wettschulden vielleicht.« Er zupfte an einem Ohr. »Oder wegen der bestellten Pornohefte.«
    Ich wusste, was er meinte. Er studierte Todesanzeigen, klapperte die Nachkommen ab und behauptete, der Verstorbene habe bei ihm Pornos bestellt, aber nicht bezahlt. Kinder, Tiere, Fäkalfantasien. Je ekeliger, desto seltener riskierte jemand Krawall deswegen.
    »Und die zahlen natürlich gleich, damit der liebe Tote nicht verunglimpft wird.«
    »Genau«, sagte er. »Und wie ich die Anzeige vom Richter gelesen habe, hab ich mir gedacht, he, den kenn ich ja sogar. Da geht es leichter. Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen wirklich nicht zu nahetreten.« Er nahm einen schmuddeligen Lappen und wischte ineffizient auf der Theke herum.
    »Und das Nilpferd da?« Ich zeigte mit einem Daumen auf Werner, der jetzt aufrecht auf dem Boden saß. Die Kellnerin stützte ihn.
    »Wir werden ja dauernd überfallen«, sagte der Cafébesitzer weinerlich.
    Und falls aufgebrachte Pornoheftkunden kamen, war Werner auch nützlich.
    Die Tür ging auf und blendendes Tageslicht flutete ins Lokal. Ein hoch aufgeschossener dünner Junge mit einer Baseballkappe über kurz geschorenem Haar trat ein. Kapuzensweater mit zu kurzen Ärmeln, tief hängende graue Hose, die die Beine schlotternd umspielte. Die Hosenbeine waren so lang, dass er mit seinen Converse ständig drauftat.
    »Hallo Enrico«, murmelte der Cafébesitzer.
    »War der Werner wieder zum Falschen goschert?«, sagte Enrico, nicht im Mindesten verstört. »Unser Menschenkenner.« Er verschwand hinter dem Perlenvorhang.
    Ich hörte, wie Münzen eingeworfen
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