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Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr
Autoren: Leo Sander
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Nasenspitze ruhte. Sein graues Haar wirkte ungekämmt. Eine ruhige medizinische Kompetenz strahlte von ihm aus. Die Welt außerhalb seiner Praxis schien ihm egal zu sein, vor allem die des Wartezimmers.
    Er nahm mir die Mühe ab, einen Vorwand zu suchen. »Sie wohnen im selben Haus wie der verstorbene Herr Richter«, verkündete er. »Der war auch mein Patient.«
    »Da haben Sie ja schnell Ersatz gefunden«, sagte ich.
    Doktor Koch lachte laut auf. »Keine Sorge, an mir ist er nicht gestorben. Schieben Sie das Hemd hoch.« Er stand auf und begann mich abzuhorchen.
    »Ich wohne sogar in derselben Wohnung. Woran ist er denn gestorben?«, gab ich mich unwissend und hielt mein Hemd empor.
    Er ignorierte mich. »Hatten Sie Probleme in letzter Zeit? Ist Ihre Frau davongelaufen? Stress im Job?«, fragte er.
    Ich klärte ihn über meine Situation auf. Kein Job, kein Stress.
    »Bei der Polizei waren Sie? Das erklärt die Fragerei.« Das Stethoskop wanderte meinen Rücken hinauf.
    »Nachwirkungen meiner beruflichen Neugier«, sagte ich. »Entschuldigen Sie.«
    Doktor Koch seufzte und taute informationstechnisch auf. »Es war ein Unfall. Genickbruch. In der Küche hingefallen.« Fachgespräch unter Profis. »Tief atmen.«
    Ich atmete tief. »Einfach so? Oder war er betrunken?«
    »Sicher nicht. Der ist trocken gewesen. Seit ein paar Jahren schon. Früher, ja, da war’s eine Katastrophe. Das war ortsbekannt. Seit ich ihm genau erklärt habe, was mit der Leber so passiert, hat er sich aber zurückgehalten.«
    Keine Schweigepflicht für Tote. »Hatte er sonst irgendwelche Leiden?«, fragte ich.
    Er setzte sich wieder und rückte seine Brille zurecht. »Rauchen Sie?«
    »Nein.«
    »Sehr brav«, sagte Doktor Koch und tippte etwas in seinen Computer. »Nein, der Richter war immer gesund. Und recht fit für sein Alter, muss ich sagen. Bei der Totenbeschau habe ich nichts Ungewöhnliches entdeckt. Obduktion gab es keine. Obwohl ich seine Leber gern gesehen hätte. Aber das macht ohnehin die Gerichtsmedizin und nicht ich. Manchmal hat man eben Pech. Sie können sich wieder anziehen.« Er nahm seine Brille ab, warf sie nachlässig auf einen Stapel medizinischer Fachjournale und schwang sich auf dem Drehsessel zu mir. »Haben Sie jemand erschossen? Ist auf Sie geschossen worden? Etwas dergleichen?«
    »Im letzten Jahr nicht«, räumte ich ein.
    »Also auch kein posttraumatischer Stress. Dann kann ich mir Ihre Brustschmerzen nicht erklären. Für mich sind Sie jedenfalls kerngesund. Gehen Sie spazieren, suchen Sie sich eine Beschäftigung. Ich würde mir keine Sorgen machen.« Er kritzelte etwas auf einen Zettel und reichte ihn mir. »Willkommen in Kurzkirchen übrigens. Geben Sie das meiner Frau draußen.«

    *

    Erleichtert darüber, dass meine vorgetäuschten Beschwerden nichts Ernstes waren, schlenderte ich über den Marktplatz nach Hause. Graue Wolken türmten sich am Himmel, bis jetzt war es aber trocken geblieben. Ich freute mich schon auf den Geruch des nassen Asphalts. Quer über zwei Bewohnerparkplätzen vor meinem Haus stand ein lehmbespritztes Auto der Telekom. Mein weißhaariger Nachbar fiel mir ein und ich mutmaßte, dass das Zweitwichtigste nach dem Putzen wahrscheinlich die Parkplätze waren.
    Ich fing den Techniker im Stiegenhaus ab und lotste ihn in meine Wohnung. Er montierte eine neue Anschlussdose und ging wieder. Ich beschloss, mir ein spätes Frühstück zu zaubern und machte mich nach einem Blick in den Kühlschrank auf den Weg zum Unimarkt.
    Der vierschrötige unrasierte Kerl, der vor mir an der Wursttheke drangekommen war, hatte kein Sackerl genommen. Er balancierte die vier Leberkässemmeln mit Ketchup und Mayonnaise samt Bierdosen vor seiner Brust und ging dabei sehr langsam. Die automatische Schiebetür war zu schmal zum Überholen. Ich befand mich im Leberkäse-Kielwasser und hielt die Luft an. Die Geruchsbelästigung stieg in einen kleinen alten Peugeot mit zwei High-Tech-Magnetantennen auf dem Dach. Die sollten wohl die vielen Dellen und Kratzer wettmachen. Der Fahrer glotzte an einem Navigationsgerät mit Saugfuß vorbei. Ich sah die beiden die Einkäufe aufteilen und registrierte automatisch das Kennzeichen. Es stammte aus Polen und begann mit OK. Früher hatten wir immer darüber gewitzelt, dass sich die Organisierte Kriminalität eigene Nummerntafeln zugelegt hatte.
    Zu Hause machte ich Schinken mit Eiern und frischen Kaffee. Ermitteln macht hungrig. Nach zwei Anrufen bei der Hotline schaffte ich es,
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