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Gelegenheitsverkehr

Gelegenheitsverkehr

Titel: Gelegenheitsverkehr
Autoren: Leo Sander
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eine Internetverbindung herzustellen. In einem Online-Telefonbuch tippte ich die Nummer des gestrigen Anrufers ein und hoffte, dass sie registriert war. Ich hatte Glück. Der Anschluss gehörte der Füllhorn Wettcafé GmbH in Linz. Rasante Vorteilswetten in gemütlicher Atmosphäre. Werftweg 10.
    Was wollte ein Wettcafé von den Nachfahren des verstorbenen Franz Richter? Schulden eintreiben? Hatte Richter seine Pension im Wettcafé verzockt? Ich klickte auf »Route planen«.
    Der Motor sprang erst beim zweiten Versuch an. Hoffentlich war das kein Omen für den Fall Richter, wie ich meine Mission bereits nannte. In Linz verließ ich die Autobahn und fuhr nach Osten. Nach einer abrupten Kurve wurde die Hafenstraße zur Industriezeile. Eine grelle Reklametafel wies den Weg zum Nightclub Splendid. Nur hundert Meter, diskrete Parkplätze, ständig neue Mädchen. Ich bog in den Werftweg ein und wich einem Mopedauto aus, das in der Mitte der Fahrbahn dahintuckerte.
    Auf einer enorm großen Grünfläche standen ungefähr zwanzig winzige alte Häuschen, die alle gleich aussahen. Dazwischen hohe Bäume, Büsche, Sandkisten und Sitzbänke. Keine Zäune. Als hätte jemand Puppenhäuschen auf einem Golfrasen verteilt. Ein struppiger Hund ohne Leine lief von einem Baum zum nächsten und schnupperte. Ein Mann in grünen Knickerbockern und weißen Strümpfen schlurfte hinterher. Ich sah bereits Abrissbagger und geldzählende Spekulanten vor mir.
    Am Ende des Werftweges war ein schmutziger Plattenbau aus den siebziger Jahren. Im ersten Stock stand eine Frau auf einem Balkon und rauchte. Unter ihr befanden sich eine Trafik, ein Hundepflegesalon und das Wettcafé. Ich parkte und ging im beginnenden Nieselregen zum Eingang. Zwei große Schaufenster waren mit schwarzer Folie beklebt. Einzelne goldene Buchstaben bildeten darauf in ungleichmäßigen Abständen den Namen »Füllhorn«.
    Als ich eintrat, wurde das Versprechen von Düsternis und Sauerstoffarmut prompt eingelöst. So stellte ich mir die Notbeleuchtung nach einem Triebwerksausfall vor. Es roch nach Zigarettenrauch und warmem Staub alter Elektrogeräte. Ich war der einzige Gast. Im vorderen Teil des Lokals standen kleine quadratische Tische mit unbequem aussehenden Stahlrohrstühlen und vollen Aschenbechern. An den Wänden hingen Poster mit Fußballszenen. Durch einen Perlenvorhang drang aus einem Nebenraum der Schimmer von Automatenbildschirmen. Alle paar Sekunden ertönte eine laute elektronische Tonfolge. Tropfenfolter.
    Ich setzte mich auf einen rot bezogenen Hocker an der Bar. Auf kleinen Röhrenfernsehern über den Flaschensortiments wurden Ergebnislisten angezeigt.
    Eine karottenfarbig gebräunte Kellnerin trat zu mir und fragte mich, was ich gerne hätte. Sie war Anfang zwanzig und hatte bereits tiefe Linien um Mundwinkel und Augen. Die Haut um ihr Nasenpiercing war entzündet. Sie trug ein blaues T-Shirt über einer zu engen schwarz glänzenden Gymnastikhose und einen Gürtel mit Geldtasche und Schreibblock. Problemzonenhilfeschrei.
    »Die Super-Triplechance-Kombination haben wir heute im Angebot«, leierte sie herunter. »Auch während der Livephase noch möglich.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. »Für welches Spiel denn?«, sagte ich.
    Sie seufzte laut. »Für alle natürlich.«
    »Erst einen Espresso, bitte«, sagte ich und bereute es im selben Augenblick, in dem ich die kleine Haushaltskaffeemaschine sah.
    Als sie die Tasse hinstellte, verlor der zu große Löffel das Gleichgewicht und fiel klappernd auf die Theke. Sie wandte sich von mir ab und tippte auf ihrem Handy.
    Ich tat es ihr gleich und wählte die Nummer des Anrufers von gestern. Gedämpftes Gedudel drang aus dem Durchgang zum WC. Eine Männerstimme sagte: »Ja?«
    »Kundschaft«, sagte ich. »Rauskommen.«
    Eine Tür fiel quietschend zu und ein Mann mit Kinnbart und spärlichem Haar erschien. Er war bleich, trug eine randlose Brille und hatte ein Schnurlostelefon in der Hand. Sein oranges T-Shirt mit der Aufschrift »Los geht’s« hing über zu großen Jeans.
    Ich winkte mit meinem Telefon.
    »Sehr witzig«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Was wollen Sie? Ich bin der Besitzer.«
    Dieselbe Stimme. »Sie haben mich gestern angerufen«, sagte ich.
    »Was?«
    »Sie wollten Ihr Geld.«
    Er sah mich ein paar Sekunden an und rief dann: »Werner.«
    Türenknallen. Eilige Schritte wurden lauter. Ein massiger Mann mit kurzen rotblonden Haaren hetzte aus dem WC-Gang und stürmte auf mich zu. Er
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